phenomenelle

informelle

LITFEST homochrom

Goldener Windbeutel für Werbelügen

Um Werbelügen an Kinder ging es in diesem Jahr bei dem „Windbeutel“-Schmähpreis der Verbraucherschutzorganisation foodwatch. Die zweifelhafte Auszeichnung erhielt dieses Jahr das viel zu zuckerhaltige Getränk Capri-Sonne.

Wie schlecht Fertignahrung aus dem Supermarkt für uns ist, klang ja an dieser Stelle schon mehrfach an – zum Beispiel bei den Beobachtungen zu einem Monat veganer Ernährung, den manche Teilnehmerinnen unter anderem deshalb lobte, weil es so gut wie unmöglich ist, sich unter veganen Vorgaben von Fertigkost zu ernähren. Wir mussten wieder selbst kochen und sparten uns so die üblichen tausend schädlichen Zusätze der Lebensmittelindustrie.

foodwatch für ehrliche Lebensmittel

Aber auch von anderer Seite wird den Menschen immer öfter klar gemacht, was sie nicht mehr kaufen und essen sollten. Seit 10 Jahren kämpft die Verbraucherschutz-Organisation foodwatch nun schon „für das Recht der Verbraucher auf qualitativ gute, gesundheitlich unbedenkliche und ehrliche Lebensmittel.“ In Deutschland und auf EU-Ebene machen sie immer wieder darauf aufmerksam, welche Produkte und Regelungen der Industrie uns schaden. Mit Erfolg!

Goldener WIndbeutel HippIn den vergangenen Jahren haben sich mehr als hunderttausend Online-Nutzer an der Abstimmung des Vereins mit über 25.000 Mitgliedern und Förderern zu den „Werbelügen“ beteiligt, die Hersteller den Kunden zumuten. Viele reagieren und nehmen die wachsende Kritik ernst. Im vergangenen Jahr nahm Hipp zum Beispiel einen stark zuckerhaltigen Instant-Tee vom Markt, nachdem dieser den alljährlich vergebenen foodwatch-Schmähpreis „Goldener Windbeutel“ gewonnen hatte.

Klatsche an Lebensmittelkonzerne

Goldener Windbeutel Kandidaten 20132013 wurde dieser Anti-Preis nun für die „dreisteste Werbemasche bei Kinderlebensmitteln“ vergeben: eine öffentliche Klatsche an Großkonzerne und ihre Marketingstrategien, die auf kleine, leicht beeinflussbare Kinder abzielen und ihnen Produkte begehrlich machen, die vor allem eines sind: ungesund. Vorwiegend süß und fett. Dabei versuchen die Hersteller noch, durch einschlägige Schlagworte wie „vollwertig“ oder „gesund“ Eltern und Erzieher zu beruhigen – dreiste Lügen, die mit diesem Anti-Preis öffentlich entlarvt werden.

Mit allen Mitteln versuchen die Unternehmen, Kinder für jene Produkte anzufixen, die die höchsten Gewinnmargen versprechen,

erklärt Oliver Huizinga von foodwatch. Mit Zucker und Fett in Getränken, Frühstücksflocken, Joghurt, Chips oder anderen stark verarbeiteten Lebensmitteln lässt sich nämlich am meisten verdienen – bis zu dreimal mehr als mit Obst oder Gemüse. Diese beiden Krankmacher sind nämlich nicht nur billig zu beschaffen, sie versprechen den Konzernen durch ihren Suchtfaktor auch eine jahrelange Kundenbindung ab dem Kleindkindalter.

Gesundheitsgefährdende Praktiken

Solche Abhängigkeiten kommen nicht von selbst. Laut foodwatch lag das Werbebudget der Lebensmittelindustrie für Obst und Gemüse 2011 bei 7,3 Millionen Euro, das Werbebudget für Schokolade, Süßwaren und Eiscreme mit 722,8 Millionen Euro fast 100 Mal höher! Kein Wunder, dass das Anfixen tatsächlich wirkt und massenweise Kinder ihre armen Mütter täglich um verbrämte Zuckerbomben anbetteln. Solche verantwortungslosen Dealer-Praktiken müssen wir und unsere Kinder teuer bezahlen: 21 % der Kinder in Deutschland sind übergewichtig bis klinisch adipös und riskieren Folgeerkrankungen wie Diabetes, Gelenk- und Herzerkrankungen. „Im Vergleich zu den 80er- und 90er-Jahren ist der Anteil übergewichtiger Kinder um 50 Prozent gestiegen.“, schreibt foodwatch.

Mehr Zucker als Fanta Orange

Gewonnen hat den Goldenen Windbeutel eine Wasser-Zucker-Aroma-Mixtur mit wenig Fruchtsaft:

42,6 Prozent der 120.000 Verbraucher haben für Capri-Sonne (Orange) gestimmt. Diese Sorte enthält je Folienbeutel sechseinhalb Stück Würfelzucker – mehr als Fanta Orange.

… Hersteller Wild/SiSi-Werke haben es auf allen Kanälen auf Kinder abgesehen, um ihnen möglichst viel Capri-Sonne anzudrehen: Nicht nur mit klassischer Fernsehwerbung, sondern auch im Internet, als Veranstalter und Sponsor von Abenteuercamps und Sportevents, in den Schulen und selbst als Kinderbetreuer in Ferienanlagen.

Lüge vorbildlich pariert

Goldener Windbeutel 2013 Capri-SonneSchon perfide mutet die Antwort von Wild an, der Zuckergehalt liege ja bei Fruchtsaft teilweise noch deutlich höher – ohne zu erwähnen, dass Fruchtzucker aus echten Früchten bei weitem nicht so nährstoffarm und schadstoffreich ist wie weißer Industriezucker und dass Fruchtsäfte  hauptsächlich mit Wasser verdünnt getrunken werden. Geradezu dumm geriet die Antwort von Caprisonne, die Werbung für ihr Getränk richte sich ja gar nicht an Kinder. Eine offensichtliche Lüge, die foodwatch mit einem Video parierte, das prompt die Runde durch deutsche soziale Netzwerke machte:

Fünfmal so schlecht wie Pommes

Ähnlich skurril liest sich das Gebaren der mitnominierten Konzerne. Nestlé etwa verspricht, „schmackhafte Nahrungsmittel sowie Getränke anzubieten, die den Ernährungsbedürfnissen der Menschen entsprechen“. Ihr Kinderfrühstück „Kosmostars“ sei eine „vollwertiger Start in den Tag“ mit „Vollkorngarantie“, so die Werbeaussage. Besagte Getreideflocken mit jeder Menge E’s und Farbstoffen bestehen bei näherer Betrachtung zu einem ganzen Viertel aus Industriezucker – mehr als mancher Keks. „Action-Joghurt Monsterbacke“ von Ehrmann kommt mit seinem „Knisterzucker“ auf stolze acht Würfelzucker pro Becher – „schlicht eine Süßigkeit“, meint foodwatch – und wird als „gesunde Zwischenmahlzeit“ beworben. Kinderpudding Paula, den Dr. Oetker „kindgerecht“ nennt und mit einem bunten Reigen aus Apps, Spielen und Gimmicks bewirbt, soll nach der Nominierung nun einem Relaunch unterzogen werden. Doch das Unternehmen behauptet ungeniert (da offenbar noch in keiner gesponserten Studie bewiesen), „dass kein kausaler Zusammenhang zwischen Werbung und der Entstehung von Übergewicht besteht“. Schwer zu glauben, wenn die (sehr beliebten, das weiß ich leider aus Erfahrung) Kinderchips Pom-Bär von Funnyfrisch doppelt so viel Fett und fünfmal so viel Salz enthalten wie Pommes frites. Fünfmal mehr? Geht das überhaupt noch? Offenbar ja.

Goldener Windbeutel Pom Bär 2013

Mehr über Foodwatch >>
Fotos: foodwatch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige


Anzeige LITfest homochrom 06.–08.08.2021

visuelle

  • Fernsehinfos vom 12. bis 29. November 2024
  • Fernsehinfos vom 5. bis zum 18. Oktober 2024
  • Radiotipp: Die Linguistin Luise F. Pusch im Gespräch
  • Buchtipp: Daniela Schenk: Mein Herz ist wie das Meer
  • Buchtipp: Elke Weigel – „Wind der Freiheit“
  • Buchtipp: „Riss in der Zeit“ von Ahima Beerlage
  • Filmtipp zum 75. Geburtstag von Ilse Kokula
  • Ilka Bessin: Abgeschminkt – Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede
  • Interview und Verlosung zu 25 Jahre „Krug & Schadenberg“
  • Der Schottische Bankier von Surabaya: Ein Ava-Lee-Roman
  • CD-Review: LAING sind zurück mit neuem Album
  • Interview: „Diversity muss von der Führung kommen“
  • 5 Serien für Fans starker TV-Charaktere …
  • „Danke Gott, dass ich homo bin!“ – Filmreview von „Silvana“
  • Buchrezi: „Lesbisch. Eine Liebe mit Geschichte“
  • Rückblick auf die NorthLichter
  • DVD-Rezi: „Call My Agent“ – Staffel 2
  • Berlin: Etwas andere Pride Parade am 23. Juni 2018 …
  • Buchrezi: Carolin Hagebölling „Ein anderer Morgen“
  • Ausstellungseröffnung „Lesbisches Sehen“ im Schwulen Museum Berlin
  • „The Einstein of Sex“ – Stück über Magnus Hirschfeld
  • „Here come the aliens“ – Das neue Album von Kim Wilde
  • Album-Review: Lisa Stansfield „Deeper“
  • Theater X: Deutschlands vergessene Kolonialzeit