informelle
Über den Zusammenhang zwischen Lesben und dem Recht
Persönliche Reflektionen zum Rechtssystem
Es ist eine große Freude für mich, bei diesem Anlass (Verleihung des Augspurg-Heymann-Preises 2013, Anmerkung d. Redaktion) über den Zusammenhang zwischen uns Lesben und dem Recht sprechen zu können – ganz besonders, weil Frau Professorin Baer ihre Promotion zu dem Thema geschrieben hat, das während meiner Berufstätigkeit als Juristin, speziell während meiner Promotion, mein größtes Problem war: sexuelle Belästigung.
Die billig und gerecht Denkenden
Als ich Jura studierte zwischen 1964 und 68 waren wir knapp 10 % Frauen in dieser Männerhochburg, die noch unberührt war vom Aufruhr der Jugend und feministischen Umtrieben, wir fielen also richtig auf. Gleich zu Beginn des Studiums haben mich zwei geheimnisvolle Wortfolgen fasziniert: Die erste fand ich gruselig, es ist das “ Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden″, das wird dafür benutzt, um festzustellen, was im Vertragsrecht gegen die guten Sitten verstößt und was nicht“. Als ich an meiner ersten Lesben- und Schwulendemo in Bremen teilnahm, Mitte der 70 er Jahren, als ich keine Lesbe, sondern eine solidarische Feministin war, und die Leute ansah, die da am Straßenrand standen, während wir tanzend „Schuld war nur die Lesbe Rosa“ sangen – da dachte ich: Das sind hier die billig und gerecht Denkenden, gegen deren Anstandsgefühl wir verstoßen. Aber ich wusste, dass dieses Anstandsgefühl wandelbar ist.
Die normative Kraft des Faktischen
Der andere Begriff war: „Die normative Kraft des Faktischen“. Die Tatsachen des Lebens beeinflussen das Recht, ja bringen gültiges Recht hervor oder schaffen es ab, Gesetzgebung und Rechtsprechung müssen das Leben, wie es ist, zur Kenntnis nehmen. Das fand ich aufregend. Ein aktuelles komisches Beispiel: In Frankreich wurde ein Gesetz aus der napoleonischen Ära entdeckt, das Frauen verbot, Männerkleidung zu tragen. Das Faktische kam als Mode daher und hat – allerdings mehr als hundert Jahre später – das Gesetz in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Aber wir lachen nicht, wenn wir uns erinnern, dass die Lesbe Judy Andersen – einige werden sich an den Mordprozess gegen Judy Andersen und Marion Ihns in Itzehoe erinnern, das war 1974 – im Gefängnis gegen ihren Willen gezwungen wurde, Röcke zu tragen, dass in der Zeit vor Stonewall (1969) die amerikanische Polizei Lesben in Bars verhaftete und sie sich ausziehen ließ und bestrafte, wenn sie nicht 2 Stücke weibliche Unterwäsche trugen.
Seit den fünfziger Jahren, der Zeit des Kampfes um Gleichberechtigung im Familienrecht, ist es eine Chance der Frauen und vielleicht auch eine Gewohnheit geworden, mit ihrem Verhalten der Gesetzgebung vorauszueilen. Auch unser Leben heute ist ein Faktum mit normativer Kraft.
Leicht ist es indes nie gewesen. Unser Leben prallt in vieler Hinsicht gegen das Anstandsgefühl der billig und gerecht Denkenden, die uns mit wechselnder Feindseligkeit gegenüberstehen.
Sexismus mal brutal und offen, mal subtil
Als Juristin habe ich es bis zur Richterin am Verwaltungsgericht in Düsseldorf mit ein paar Jahren im Justizministerium gebracht – nach 5 Jahren wandte ich mich von der Juristerei komplett ab – es hatte sich zu viel Enttäuschung und Bitternis angesammelt. In der Verwaltung und der Justiz war der Sexismus eher subtil, vorher an der Universität aber brutal und offen. Mein Doktorvater hat mich die ganze Zeit der Promotion hindurch und davor, als sich seine Assistentin war, sehr offen sexuell belästigt – und es gab noch nicht einmal dieses Wort. Was Tabu ist, hat keine Begriffe. Das machte das Sprechen darüber schwer, es verletzte das Anstandsgefühl. Ich habe es getan, obwohl es allen peinlich war und niemand davon hören wollte. Frauen schon gar nicht! Ich wusste genau, dass es dabei nicht um Lust und Liebe sondern darum ging, Frauen zu zeigen, wo ihr Platz ist. Spätere Generationen von Studentinnen und Doktorandinnen hatten dank der Frauen- und Lesbenbewegung den Mut zu Tabubrüchen. Sie fanden Worte und die Möglichkeit, sexuelle Belästigung zum Thema wissenschaftlicher und politischer Arbeit zu machen. Das ist das Faktische.
Jede braucht schützenden Hintergrund
Und das ist auch unsere Verantwortung. Ich habe mir damals die Stärke gewünscht zu bleiben, mich zu behaupten, Bündnisse zu suchen, zu verändern. Doch ich sah sehr klar, dass frau dazu einen schützenden und stärkenden Hintergrund braucht, Menschen, die einen auffangen und tragen, ganz allein ist dieser Weg durch die Institutionen zu schwer. Für meine linken Kollegen war das die Familie, Frau und Kinder. Weder meine WG, noch die anarchischen Frauengruppen und damals schon gar nicht die Lesbengruppen hätten das leisten können. Mir blieb nur die Flucht, um mir mein feministisch-lesbisches Leben am Rande der Gesellschaft in der Frauenbewegung einzurichten, die, so meinte nicht nur ich, das werden würde, war mir gefehlt hatte: Eine große breite Bewegung mit genug organisierter Kraft, um jeder einzelnen Frau Unterstützung zu geben, wenn sie diskriminiert oder ausgebeutet wird, wenn sie Angst hat.
Autononmie als Politik der eigenen Stärke
Doch es ist nicht so gekommen. Wir feministischen Lesben haben Autonomie, nicht Integration, zu unserer Politik erklärt, nicht des Verbergens wegen; Lesben waren in den achtziger und neunziger Jahren sichtbarer als heute und füreinander erkennbar, sondern als Politik der eigenen Stärke: Wir schaffen unsere Welt kulturell und ökonomisch, unsere eigenen Räume, Orte für unsere Kultur, Verlage, Zeitungen, Geschäfte, Restaurants, Musik, Kunst, Wissenschaft, Bildung, Spiritualität, Hilfssysteme.
Das war auch gut so, denn es hat uns begeistert und gestärkt. Doch mit unserer wachsenden Autonomie verlor uns die übrige Gesellschaft aus dem Blick und wir konnten das Recht so kaum faktisch beeinflussen. Das autonome Lesbentreiben wurde wenig zur Kenntnis genommen, oder eher – auch das lag an uns – als feministisch denn als lesbisch. Doch das Faktische muss explizit sein, wenn es normativ wirken soll.
Derweil betrieben schwule Männer beharrlich und nachhaltig ihre Integrationspolitik – logisch, die Interessenlage ist anders, Männern winkt die Beteiligung an den Vorteilen der patriarchalen Gesellschaft. Sie pflegten Netzwerke, organisierten sich und wurden mit ihren Forderungen nach Gleichbehandlung und dem Ende von Diskriminierung sichtbar als ein Faktum, das Recht zu schaffen vermag. Jüngere Lesben haben sich organisiert und es auf sich genommen, daran mitzuwirken.
Viel bekommen durch beharrliche Arbeit
Wir alle haben viel bekommen durch die beharrliche Arbeit der organisierten Lesben- und Schwulenbewegung in Europa und der Welt. Die Einführung der eingetragenen Partnerschaft neben der bürgerlichen Ehe und deren weitgehende Gleichstellung im Sozialrecht, Erbrecht, Steuerrecht und was noch kommt, dank sei dem BVerfG und seiner Klarheit. Und wir haben ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, bekannt als Antidiskriminierungsgesetz.
Spannend ist ja nun, welche Fakten es sind, die Legislative und Judikative zu dieser spektakulären Umwälzung der Rechtsordnung bewogen haben. Es ist das verantwortungsvolle Leben homosexueller Paare, die lebendige Verwirklichung der Werte, die für die Ehe gelten, die langfristige Verpflichtung, die Liebe und Fürsorge füreinander und auch für Kinder.
Wir wollten etwas anderes als die Ehe
Oh ja, ich weiß wohl – wir wollten mal was ganz anderes als ein eheähnliches Leben. Eigentlich wollten wir das doch eher abschaffen, die Ehe auflösen, nicht eingehen. Hatten wir nicht die Familie als Ort der Unterdrückung und Zurichtung von Mädchen und Frauen ausgemacht, wollten wir nicht kollektiv wirken, jeder Frau und Lesbe ein Leben ermöglichen in Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein, unabhängig von Familien und familienähnlichen Strukturen? Doch, ja, das haben wir angestrebt mit dem Einsatz von Lebenszeit- und kraft.
Die Geschichte ist darüber hinweggegangen. Viele der autonomen Orte und Raume haben ihre große Zeit gehabt, dieses Konzept findet bei nachfolgenden Generationen nicht dasselbe Interesse. Es hat für uns ältere Lesben einen Hauch von tragischer Komik, dass unser politisches Leben mit der Möglichkeit der Ehe gekrönt wird. Doch sind wir klug genug, die Vorteile zu nutzen, feiern schöne Hochzeitsfeste, die wiederum zur Sichtbarkeit beitragen, und die Rentenansprüche einer Frau mögen ihre Attraktivität steigern. Doch bleiben wir wachsam bei der Frage, ob wir Lesben die Ehe verändern, oder diese alte Einrichtung uns!
Lesbisches Leben sichtbar und hörbar machen
Wenn wir unser lesbisches Leben noch als politisch begreifen, müssen wir es explizit machen, sichtbar und hörbar. Wir tun das nicht immer, vielleicht immer weniger. Es macht mir Sorgen, dass das Wort „Lesbe“ im Rückzug begriffen ist und selten mit Stolz gesagt wird, wie das Wort schwul. Wir haben aber kein anderes Wort und das Fehlen von Begriffen in der Sprache weist immer auf eine tatsächliche Tabuisierung hin. Das Problem liegt darin, das die Diskriminierung von Lesben nicht in dem Maße nachgelassen hat, wie uns das Recht Anerkennung zollt. Sie ist sehr präsent.
Ich denke, es gibt einen Kreislauf: Hier sind wir, durch unser Leben schaffen wir Fakten, die von Gerichten und Gesetzgeber als normativ aufgenommen werden. Das gesetzte Recht, die Normen, beeinflussen wiederum die billig und gerecht denkenden Menschen, die mit ihrem Anstandsgefühl bei der Ablehnung von Homosexualität stehengeblieben sind und uns feindselig begegnen. Ihre Haltung ändert sich auf dem Umweg über die rechtliche Anerkennung: ″…Aha, die heiraten wie anständige Menschen auch…“ . So mag die Diskriminierung, die Feindseligkeit am Arbeitsplatz, in der Familie, in der Nachbarschaft, im sozialen Leben überall allmählich abnehmen. Doch unser Leben als Lesben, unser Handeln ist der Anfang in diesem Kreislauf.
Daher müssen wir wohl weiterhin das Wagnis eingehen, uns zu zeigen mit Haut und Haar, Bildern, Symbolen und Worten. Leichter als wenn es jede allein tut, können wir gemeinsam wirken. Wie? So. Diese großartige Idee der LAG Lesben in NRW, dieser Preis, diese Feier sind ein wunderbares Beispiel und zeigen die Phantasie und die Kraft zur Veränderung, die jede Generation Lesben weiterhin haben wird.
Die Juristin Dr’in. Marie Sichtermann hielt diesen Vortrag für die LAG Lesben NRW am 30. Juni 2013 anlässlich der Verleihung des Augspurg-Heymann-Preises 2013 an Professorin Susanne Baer, Richterin am Bundesverfassungsgericht. Die Vortragende und die LAG haben uns das Manuskript freundlicherweise zur Verfügung gestellt, um es zu veröffentlichen.
Dr’in. Marie Sichtermann
Geld & Rosen, Unternehmensberatung für Frauen und soziale Einrichtungen
Münstereifeler Str. 9-13, 53879 Euskirchen, www.geld-und-rosen.de