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phenomenelle des Tages: Mary Renault
Mary Renault (4.9.1905–13.12.1983)
Mary Renault gehört zu den vergessenen Bestsellerautor_innen. Ihre Romane über das antike Griechenland standen über Jahrzehnte in den Buchregalen vieler englischsprachiger Haushalte. Sogar Präsident John F. Kennedy nannte sie als seine Lieblingsautorin. Mit dem Fokus auf historische Geschichten eröffnete sie sich die Chance, relativ frei über homosexuelle Beziehungen zu schreiben. In der Gay-Community hatte sie deshalb über viele Jahre eine besondere Bedeutung.
Als Eileen Mary Challans wird sie in der Nähe von London geboren und wächst in gut bürgerlichen Verhältnissen auf. Nach einer Jugend im Internat studiert sie am St. Hughs College in Oxford Englisch und macht 1928 ihren Abschluss. Ab 1933 beginnt sie im legendären Oxfoder Radcliffe Krankenhaus eine Ausbildung und verliebt sich in eine andere Lernschwester, Julie Mullard. Die beiden Frauen bleiben lebenslang zusammen. Während Renault als Krankenschwester arbeitet, widmet sie ihre freien Stunden dem Schreiben. 1939 veröffentlicht sie unter dem Pseudonym Mary Renault ihren ersten Roman Purposes of Love, eine heterosexuelle Romanze, die im Krankenhausumfeld spielt. Während des 2. Weltkriegs erscheinen zwei weitere Romane. Darin greift sie auch homosexuelle Themen auf, für die britische Gesellschaft starker Tobak. Für ihr viertes Buch Return to Night gewinnt sie einen Preis. Das stattliche Preisgeld erlaubt es ihr gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Julie Mullard England zu verlassen. Das Paar findet in Südafrika ein neues Zuhause und wechselt die Staatsbürgerschaft.
Neues Leben in Südafrika
1953 erscheint eines von Renaults bekanntesten Bücher The Charioteer, in dem sie erstmals ganz offen über eine homosexuelle Liebe – wenn auch platonisch – zwischen zwei Soldaten schreibt. Das Besondere: Die Charaktere wirken sympathisch und sie schafft es die Leser_innen mit ihnen mitfühlen zu lassen. So sehr die südafrikanische Gesellschaft dem Thema Homosexualität gegenüber aufgeschlossener als die englische erscheint, so sehr spitzt sich die Diskrimierung für People of Color zu. Renault und Mullard kritisieren als eine der wenigen weißen Bürger_innen die Apartheid und werden Mitglied der Anti-Apartheid-Gruppe Black Sash.
Schriftstellerisch widmet sich Renault immer stärker antiken Geschichten. Um sich in die historische Welt einfühlen zu können, besucht sie mit Mullard Griechenland, besichtigt griechische Architekt und die Landschaft, recherchiert und liest Biographien. Auch wenn Experten ihre Sicht auf die Geschichte kritisieren, die Art und Weise wie anschaulich sie die Antike für die Leser_innen zum Leben erweckt, bringt ihr den Respekt der Kritiker ein. Von der politischen Arbeit zeigt Renault sich zunehmend enttäuscht. Die aufkommende Gay Pride Bewegung löst bei ihr später eher Unbehagen aus. Sie zieht mit Mullard ein privates Leben vor. Ihr Verdient bleibt bis heute, dass sie in ihrer Literatur dem Tabu-Thema Homosexualität eine Stimme und ein menschliches Gesicht gegeben hat.
Foto: via Facebook-Seite Virago Press vom 5.8.2013
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