kulturelle
Spannend: Die Affen von Cannstatt
In der Wilhelma, Stuttgarts berühmtem Zoo liegt eine Männerleiche im Affenhaus. Eindeutig von den Bonobo-Affen totgebissen. Aber wer ist dafür verantwortlich?
In Gotteszell, Schwäbisch Gmünds berüchtigtem Frauenknast sitzt Camilla Feh deswegen in U-Haft. Eindeutig auf Betreiben der Journalistin und Detektivin Lisa Nerz.
Serienheldin bringt Schuldige hinter Gitter – normalerweise das Finale eines Krimis. Aber dieser hier fängt so an.
Camilla Feh, die einzig überlebende Tochter einer Kindsmörderin forscht während ihres Soziologiestudiums über das Leben der Bonobo-Affen, ihre matriarchal strukturierten Sozialverbände, Aggressionsabbau durch Sex und bemerkenswert hohe Friedfertigkeit im Umgang. Doch es kommt zum Autoritätsgerangel mit ihrem Professor. Der lehnt ihre Forschungsergebnisse schließlich ab, denn Camilla behauptet, im Käfig der friedfertigen Emanzen-Äffchen einen Infantizid beobachtet zu haben, einen Mordversuch eines Bonobo-Weibchens an einem Bonobo-Kind aus Heimtücke und mit Werkzeug!
Sie bricht ihr Studium ab und gleichzeitig ihre Beziehung mit Till, einem Anarchoveganer, Tierschützer und radikalen Feministen.
Der zerbissene Körper im Affenkäfig ist Till und Camilla weiß nicht nur genau, wie sich Bonobos verhalten, sondern auch, wie man deren Käfigtüren öffnet und schließt…
Nun sitzt sie in Gotteszell ein und beteuert ihre Unschuld. Da singt sie allerdings in einem großen Chor, denn natürlich sind alle Frauen in Gotteszell so unschuldig im Knast wie die Bonobos in der Wilhelma.
„Draußen“ gibt es niemanden, der wirklich auf ihrer Seite ist, Recherchen sind ihr von „Drinnen“ heraus unmöglich. Sie beginnt, alle ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Lauter Mosaiksteinchen, die zusammengefügt vielleicht endlich die „Wahrheit“ abbilden. Ein hochspannendes Theorienpuzzle entsteht da und je mehr wir erfahren, desto größer die Verwirrung. Sie schreibt auch über ihre Haft, eine Art Gefängnistagebuch. Verblüffend klein ist der Unterschied zu ihren soziologischen Studien der Bonobos im Käfig. Nur diesmal kann sie nicht einfach aufgeben, weil eine Autorität anderer Meinung ist.
Achja, ein Lisa Nerz-Krimi…
…ist das überhaupt nicht! Die coole, unkonventionelle, bisexuelle Serienheldin so vieler herrlicher Krimis taucht ein paar Mal ganz kurz und unsympathisch auf und nuschelt den allerletzten Satz des Buches: „…Vielleicht sollte ich es künftig besser sein lassen.“
Christine Lehmann hat bei jeder Lisa Nerz – Geschichte den Mut gehabt, die bewährten, erfolgversprechenden Muster immer wieder aufs Neue zu brechen und freudige LeserInnenerwartung konsequent nicht zu bedienen. Die Heldin zu entthronen ist an sich schon starker Tobak, aber Lisa Nerz in krümelig- winziger Nebenrolle als unsympathische Hyäne mit fiesen Vorurteilen? Geht das nicht zu weit? Und das in einem der besten Krimis, die je geschrieben wurden!
Chapeau, Christine Lehmann! Das geht zu weit – weiter so!
Regine Anhamm
Christine Lehmann: Die Affen von Cannstatt,
Ariadne Krimi 1195, ISBN 978-3-86754-195-4