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Berliner Manifest warnt LGBTIQ* vor der Wahl von Rechtspopulisten
Für gesellschaftliches Engagement gegen Vereinnahmung
In Berlin schürt die AfD im tobenden Landtagswahlkampf mit einem schwulen Paar Angst vor „muslimischen Einwanderern“. Kein Novum. Immer wieder versuchen Rechtspopulisten in den letzten Jahren LGBTIQ* auf ihre Seite zu ziehen. Ähnlich agierten 2013 beispielsweise die Rechtsradikalen von ProKöln. Beim Fang nach Stimmen ist sich das ultra-rechte Lager für nichts zu schade. Gleichzeitig machen AfD-Kräfte wie Beatrix von Storch oder -Gruppierungen wie in Stuttgart Stimmung gegen sexuelle Minderheiten.
Mit einem „Berliner Manifest gegen die Instrumentalisierung von LSBTIQ* durch Rechtspopulist_innen“ wenden sich jetzt acht Initiator*innen und über 200 Erstunterzeichnende an diejenigen, deren Stimmen die AfD gern fangen möchte. Mit Sorge betrachten sie,
wie die Grundlage unserer Demokratie, das zivilgesellschaftliche Engagement, mit Labeln wie “linksgrünversifft”, “Gender-Gaga“ oder „Queeriban” denunziert wird.
Dagegen stehen Initiatorinnen wie Dr. Birgit Bosold, Vorstand des schwulen Museum* Berlin, und prominente Erstunterzeichnende wie Maren Kroymann, Anne Wizcorek oder Lisa Ortgies (Frau TV)
für eine Politik, die Vielfalt in unserer Gesellschaft als Chance begreift und die Errungenschaften unserer emanzipatorischen Bewegungen der letzten 50 Jahre mutig verteidigt und weiterführt.
Deutlich fordert das Manifest LGBTIQ* dazu auf, nur Parteien ihre Stimme zu geben, deren Ziele einer offenen und vielfältigen Gesellschaft nicht widersprechen. phenomenelle unterstützt den Aufruf und das Manifest. In einer Gesellschaft, die von radikalen Kräften wie der AfD geprägt wäre, würden wir wohl nichts zu lachen haben. Das Online-Tool zum Unterzeichnen funktioniert zwar derzeit nicht, wer dennoch ein Zeichen setzen will, wird gebeten eine Mail zu schreiben: lgbtqmanifest@gmail.com. Hier der komplette Text zum Manifest und ein Link zur Webseite.
Wir, die Unterzeichnenden, wenden uns gegen die Vereinnahmung sexueller Minderheiten durch rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien, Gruppierungen und Publizist_innen. Wir beobachten mit Sorge, wie die Grundlage unserer Demokratie, das zivilgesellschaftliche Engagement, mit Labeln wie “linksgrünversifft”, “Gender-Gaga“ oder „Queeriban” denunziert wird. Wir dagegen stehen für eine Politik, die Vielfalt in unserer Gesellschaft als Chance begreift und die Errungenschaften unserer emanzipatorischen Bewegungen der letzten 50 Jahre mutig verteidigt und weiterführt.
Wir wissen: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und Inter* können den Kampf um ihre Gleichberechtigung nur gemeinsam gewinnen. Wir werden alle verlieren, wenn wir uns gegeneinander ausspielen lassen. Unsere Lehre aus der Geschichte der emanzipatorischen Bewegungen lautet: Wir brauchen einander, wir lernen voneinander und stehen solidarisch füreinander ein – in unseren Gemeinsamkeiten, wie in unseren Unterschieden. Den Begriff LSBTIQ* verstehen wir als Auftrag, miteinander so umzugehen, wie wir es von der Mehrheitsgesellschaft uns gegenüber zu Recht erwarten.
Wir sind deshalb vereint in diesen Feststellungen, Forderungen und Zielen:
Es gibt keine „überlegenen“ Beziehungs- und Familienmodelle. Viele Kinder, Jugendliche und Erwachsene leben längst in Ein-Eltern-Familien, Patchwork-Familien oder Regenbogenfamilien. Viele Menschen stehen auch ohne Trauschein füreinander ein. Das Familienrecht muss den gesellschaftlichen Realitäten endlich angepasst werden. Die Anerkennung und Förderung verschiedener Familienmodelle ist überfällig. Die Vielfalt von Lebensentwürfen muss in die Bildungspläne aller Kindergärten und Schulen. Wir brauchen aufgeklärte und selbstbewusste Jugendliche und Erwachsene, die ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten und dabei die Bedürfnisse und Grenzen anderer achten. Zur Anerkennung gehört als ein zentraler Baustein die rechtliche Gleichstellung: Lesben und Schwule müssen heiraten und Kinder adoptieren dürfen.
Sex gehört für fast alle Menschen zu einem glücklichen Leben und existiert unabhängig von Liebe. Der Staat muss die sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen achten und schützen. Jeder Mensch weiß selbst am besten, wen er begehrt und kann entscheiden, wie die eigene Sexualität gelebt wird, solange dabei die Selbstbestimmung anderer nicht eingeschränkt wird. Zur sexuellen Identität eines Menschen gehört auch der eigene Körper. Niemand weiß besser, welches Geschlecht eine Person hat, als sie selbst. Wir brauchen daher Gesetze, die die Würde und Selbstdefinition insbesondere von Trans* und Inter* schützen.
Wir setzen uns für ein vielfältiges und modernes Land ein, das allen Menschen ein freies und glückliches Leben nach ihren Bedürfnissen ermöglicht. Deshalb leisten wir Widerstand gegen alle, die Hass gegen Minderheiten fordern und fördern. Besonders wehren wir uns gegen Versuche, LSBTIQ* gegen andere Minderheiten auszuspielen. Wir stellen uns gegen alle religiösen und völkischen Vorstellungen, die uns vorschreiben wollen, was eine echte Familie ist oder wann, ob und mit wem wir Sex haben dürfen. Wir lehnen es ab, wenn Heterosexualität für wünschenswerter oder “gesünder” erklärt wird als Homo- oder Bisexualität. Artikel 3 des Grundgesetzes muss um den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität erweitert werden.
Wir leisten Widerstand gegen die Pathologisierung von Inter* und Trans* und fordern Respekt und Anerkennung, statt falschem Mitleid und “Heilungsversuchen”. Besonders letztere verursachen bis in die Gegenwart auch bei Schwulen und Lesben schwere seelische Schäden. Alle Opfer von Verfolgung aus Gründen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität müssen Wiedergutmachung erfahren. Wer aus diesen Gründen bei uns Schutz vor Verfolgung sucht, muss das Recht haben, in unserem Land ein Leben in Freiheit, Würde und Sicherheit zu führen.
Wir, die Unterzeichnenden, verpflichten uns, dieses unvollendete Projekt der Aufklärung entschieden fortzusetzen, bis sein Ziel erreicht ist: Die Gleichwertigkeit aller Menschen vor dem Gesetz und im Alltag – und zwar unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer geschlechtlichen Identität, ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Glauben und ihren körperlichen Fähigkeiten.
Bei den anstehenden Wahlen geht es um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Wir fordern alle Lesben, Schwule, Bisexuellen, Trans*- und Inter* auf, nur für solche Parteien zu stimmen, deren Programm nicht im Widerspruch zu einer vielfältigen und offenen Gesellschaft steht, die von gegenseitigem Respekt getragen wird.
Darüber hinaus fordern wir alle Menschen auf, sich jenen entschieden in den Weg zu stellen, die die Diskriminierung von LSBTIQ* fortführen oder sogar von einer Welt träumen, in der es ausschließlich heterosexuelle Männer und Frauen gibt, die innerhalb traditioneller Familienmodelle ihre Rollenbilder ausfüllen.
Berlin, der 01. September 2016
Wir bedanken uns ausdrücklich beim CSD Darmstadt und Vielbunt e.V., dessen Motto Basis dieses Manifestes ist.
Initiator_innen:
- Klaus Bechtold, Politikwissenschaftler
- Dr. Birgit Bosold, Vorstand Schwules Museum* e.V.
- Bastian Brauns, Redakteur
- Parissa Chagheri, Germanistin
- Werner Hinzpeter, Journalist
- Elmar Kraushaar, Journalist
- Dirk Ludigs, Freier Journalist
- Jan Schnorrenberg, Kulturwissenschaftler