informelle
Die EM findet ohne mich statt
Wegschauen kann jede!
Von Fußball weiß ich nicht mehr, als dass der Ball in das gegnerische Netz zu befördern ist. Dennoch habe ich mich zu jeder EM oder WM von dem Gemeinschaftsgefühl anstecken lassen. Habe jedes Spiel mit Freunden, sogar einige Male mit Kollegen während der Arbeitszeit, geschaut und heftig mitgefiebert. Spätestens seit dem „Sommermärchen“ waren EM oder WM tolle Ereignisse, bei denen ich öffentlich so richtig stolz auf mein Land sein konnte. Feiern, Spannung, Spaß, Gemeinschaftsgefühl pur.
Nicht diese EM!
Die Regierung der Ukraine ließ im Vorfeld zur EM 2012 die Straßen säubern. Wer glaubt, damit seien Straßenreinigungen oder neue Anstriche für die Häuser gemeint, irrt: Straßenhunde wurden lebendig verbrannt, grausig zu Tode gequält. Damit zur EM 2012 alles hübsch aussieht und das Gesamtbild stimmt. Die zunehmende Zahl der verwilderten Straßenhunde wurde ganz plötzlich als Plage empfunden. Anstatt zu kastrieren oder aber human einzuschläfern, wurden die Hunde totgeschlagen oder in fahrbaren Öfen lebendig ins Feuer geworfen.
Ich kann es kaum schreiben, geschweige denn mir Bilder ansehen. Wegschauen bei Massentötungen ist einfach!
Aber ich will davor die Augen nicht verschließen. Mit diesem Wissen kann ich die EM nicht feiern oder genießen.
Mit dem Fußball geht es mir ähnlich. Eigentlich interessiert er mich nicht, aber ab und zu lasse ich mich dann doch von der Begeisterung meiner Freund_innen mitreißen und sehe mir Spiele an. Wie das bei der bevorstehenden EM sein wird, weiß ich noch nicht. Das wird wie immer von meinem Umfeld abhängen, wenn alle gucken und darüber reden, will ich nicht einsam in einer Ecke hocken.
Doch ganz sicher wird mein Interesse nichts damit zu tun haben, wie man der Ukraine mit Straßenhunden umgegangen ist oder auch noch umgeht, um das Stadtbild in Kiew und Charkow schöner zu machen. Es ist grausam, was dort mit Hunden passiert – ebenso grausam wie in Spanien, Bulgarien, Griechenland und vielen anderen süd- und osteuropäischen Ländern, wo wir bedenkenlos Urlaub machen. Oder in Südfrankreich, ich habe zwei Hunde, die aus einer „fourrière“ in der wunderschönen Provence stammen und nur knapp der Todesspritze entgangen sind.
Es gibt noch andere Bilder aus der Ukraine, die kaum zu ertragen sind: Die Zustände in Behindertenheimen und in der Psychiatrie, die eine Bekannte mit den Worten beschrieb: „Selbst in den Ställen der Massentierhaltung geht es Schweinen bei uns besser als behinderten Menschen in der Ukraine.“ Geschätzte 20.–40.000 Straßenkinder hausen in Abwasserkanälen und U-Bahnschächten. Ein Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze, die Situation von vielen Rentner_innen ist ebenso katastrophal wie die medizinische Versorgung von Tschernobylopfern.
Außerdem: So wie bei uns mit Hühnern, Kühen, Schweinen usw. in der Massentierhaltung umgegangen wird, ist kein Deut besser als der ukrainische Umgang mit Hunden. Sich über das eine aufregen und das andere hinnehmen, ist Heuchelei. Es gibt sicher viele politische Gründe, weshalb die EM zurzeit nicht in der Ukraine stattfinden sollte, ebenso wie die letzte Olympiade nicht von China hätte ausgerichtet werden dürfen. Doch nun ist eh spät, etwas daran zu ändern und ich hoffe, dass wenigstens ein paar der deutschen EM Besucher_innen die Gelegenheit nutzen und sich bei dieser Gelegenheit auch mit der deutschen Vergangenheit auseinandersetzen werden, vielleicht Babyn Jar und Drobyzkyj Jar einen Besuch abstatten.
„Wir bellen zweisprachig: Griffon, Epagneul, Beauceron & Co“ über Hunde aus Südfrankreich. Ein Tierheimspendenbuch. http://www.amazon.de/Wir-bellen-zweisprachig-Epagneul-Beauceron/dp/3839114497/ref=sr_1_8?ie=UTF8&qid=1339066605&sr=8-8
Also, ich sehe diese Sache mit dem Boykott etwas anders.
Zu Allererst aber. Ich stimme mit Eva überein, dass das Massaker an den Hunden das Abstoßendste war, was ich jemals gehört habe. Ich habe mir aber ganz bewusst kein einziges Bild davon angeschaut. In der Zwischenzeit haben die weltweiten Proteste aber dazu geführt, dass jetzt konsequent Kastrationen durchgeführt werden. Dies bringt sicherlich die aber tausende Hunde nicht wieder, aber zumindest hat der Protest doch eine Wirkung gehabt.
Ein Boykott der EM-Spiele halte ich für nicht richtig. Es straft die Fußballer und nicht die, die es treffen sollte. Der Schuldige ist in meinen Augen die UEFA. Sie hat, wohlwissend von den Menschenrechtsverletzungen, die Fußball-EM neben Polen auch in die Ukraine vergeben. Auch die weltweiten Proteste bzgl. der Morde an den Straßenhunden haben die UEFA nicht zum Handeln veranlasst.
Die deutsche Männer-Fußballnationalmannschaft hat ein grandiose Qualifikation gespielt und verdient es, dass auch deren EM Spiele angeschaut werden. Und das werde ich auch tun. Ob ich mir andere Spiele anschaue, hängt von der Paarung ab. Sicherlich werde ich mir nicht jedes Spiel „antun“.
Ich hoffe, wie so viele Fußballfans, dass die deutsche Nationalmannschaft bis ins Finale kommt und dies dann auch mal gewinnt.
Hallo Eva,
gut, dass das Thema nochmal „auf den Tisch kommt“. Du hast vollkommen Recht: Diese Art und Weise, mit heimatlosen Tieren „umzugehen“ und dafür eigens mobile Krematorien durch ukrainische Städte zu schicken, um Hunde für eine Unterhaltungsveranstaltung einfach so zu vergiften, zu erschießen oder zu verbrennen (und dies auch noch im Staatsfernsehen zu bewerben), ist abscheulich und muss Protest hervorrufen.
Doch schlussendlich möchte ich auch Gertrude Recht geben: Tierschutz-Organisationen wie die SOS Animals Society Kiev und SOS Chats Noiraigue kämpfen seit Jahren für gewaltfreie Maßnahmen wie das Neuter & Release-Konzept, um die Population der Tiere zu kontrollieren. Die Frage, die sich mir stellt: wie effektiv ist der persönliche Protest, wenn ich einfach den Fernseher zur EM nicht einschalte?
Und: wäre mein Protest nicht offenkundiger und gezielter eingesetzt, wenn ich mich beispielsweise direkt an die Verantwortlichen wende – so wie es hier bei der PETA seit letztem Jahr vorgeschlagen wird: (?) http://www.peta.de/web/aaukraine.5066.html
LG
Jasmina
Danke für eure Kommentare und Ansichten! Ich finde es sehr gut, dass über das Thema diskutiert wird.
Ich persönliche denke mir einfach – natürlich gibt es woanders auf der Welt mehr Leid – aber JETZT geht es eben um die EM. Und ich weiß, was dort getan wurde WEGEN der EM. Ganz abgesehen davon, dass in diesen Ländern Menschenrechte auch für überflüssig erachtet werden. Und ich als Einzelperson richte mit meinem Protest sicher nicht viel aus. Wenn jede so denkt – dann ist es auch so.
Ich würde mir einen Fußballspieler wünschen, der während der EM auch auf die Schattenseiten hinweist. So wie es Anke Engelke beim Eurovision getan hat.
Hallo Eva,
ich poste jetzt einfach mal, obwohl ich gar nicht weiß, ob meine Kommentare als Mann hier erwünscht sind 🙂 Ich wollte auch erst boykottieren auf den ersten Blick, aber dann hab ich mir gedacht, dass es doch besser wäre, wenn man die EM nutzt, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Und da möchte ich doch mal den Fussballverband meines Vaterlandes loben. Die Federazione Itialiana Giuoco Calcio hat eigens eine Kampagne ins Leben gerufen, die in Italien auch breit diskutiert wurde und zu einigem Protest gegegnüebr der Ukraine geführt hat:
http://www.vivoazzurro.it/it/gallery/gli-azzurri-la-tutela-degli-animali
Ähnlich sollten es die Politiker tun. Socleh Events werden viel zu wenig auch für so etwas genutzt. Boykotte hingegen haben sich in der Vergangenheit nicht bewährt wie Moskau 1980 gezeigt hat. Es hat die Situation eher noch verschlimmert.
Grüße
maro
Lieber Marco,
aber natürlich dürfen auch Männer Kommentare auf unserer Seite posten. Wir freuen uns auf weitere von dir 🙂
Hallo,
eine tolle Aktion für alle.
„Tierfreunde gegen Tierquälerei für EM 2012
Udo Lindenberg, Martin Rütter, die Sportmoderatorin Andrea Kaiser, BVB-Trainer Jürgen Klopp und viele andere Prominente unterstützen unsere Kampagne und sprechen sich gegen die Hundetötungen in der Ukraine aus.“
http://www.peta.de/web/home.cfm?p=5944&sid=yes