phenomenelle

informelle

LITFEST homochrom

Eurogames 2012 in Budapest

BudapestBudapest – Paris des Ostens. Die ungarische Hauptstadt an der Donau, auf die sich das sichtbare ungarische lesbische Leben konzentriert, ist mit ihrem bezaubernden Charme ein beliebtes Reiseziel der L-Community. Vom 27.06.2012 bis zum 01.07.2012 finden in Budapest die 14. Eurogames statt. Direkt daran anschließen wird sich vom 01.07. bis zum 08.07.2012 das Budapest-Pride Film- und Kulturfestival mit dem Pride March am 07.07.2012 anschließen.

Die Eurogames wollen ein internationales Fest der sportbegeisterten Community werden. Die Sicherheit der 14. Eurogames in Ungarn ist dabei die große Unbekannte. Homophobie ist in Ungarn ein relativ weit verbreitetes gesellschaftliches Problem (vgl. z.B. die Studien „Die Abwertung der anderen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2011  und „Annual Review of the Human Rights Situation of LGBTI People in Europe 2011“ von ILGA Europe ).

Erfahrungswerte kann die Organisation des Eurogames aus dem jährlichen Pride March durch die Budapester Innenstadt ziehen. Es kommt dabei jedes Jahr zu Konfrontationen mit Rechtsextremen. Der Pride March in Budapest wurde in den letzten Jahren im Rahmen umfangreicher polizeilicher Maßnahmen geschützt. Übergriffe gewaltbereiter Gegendemonstrierender konnten jedoch nicht vollständig verhindert werden. So wurden im Jahr 2008 schließlich alle Metro-Eingänge am Heldenplatz von der Polizei gesperrt, nachdem die Community dort von Rechtsextremen eingekesselt worden war, damit die Flucht unterirdisch mit der Metro gelingen konnte. Während dieser Veranstaltung waren Molotow-Cocktails geflogen. Es kam zu wilden Schlachten zwischen Rechtsradikalen und einigen Hundertschaften der Polizei unter Einsatz von Wasserwerfern. Dieser Pride-March  war von einem Zaun auf beiden Seiten eingegrenzt worden. Die Community lief, flankiert von der Polizei, in diesem Schlauchkäfig. Homophobe außerhalb des Zauns warfen mit Pflastersteinen, Flaschen, Eiern und Tomaten auf die Menschen innerhalb des Zauns. Trotzdem beteiligten sich in den letzten Jahren regelmäßig über 1000 Menschen am March. Einen großen Anteil hieran hatten Solidarische aus Ungarn und dem Ausland. Die in der ungarischen Community umgehende Angst vor Homophobie hält viele, insbesondere die älteren Lesben, davon ab, sich am Pride zu beteiligen. Budapest Pride 20112011 verlief der Pride  glimpflich. Es gab keinen Zaun aus Metall. Stattdessen liefen rechts und links Securities. Menschen, die der verbotenen Ungarischen Garde, einer ultrarechten Organisation, angehören und in historischen Uniformen der Pfeilkreuzler gekleidet waren, blockierten die vorgesehene Route am Oktogon. Die Polizei entschied sich daraufhin dafür, nicht den Platz zu räumen, sondern den Pride March rechts abbiegen zu lassen und durch kleine Nebenstraßen zu leiten. Direkt nach der Abschlusskundgebung packten die meisten Menschen ihre Regenbogenutensilien weg und verließen unauffällig den Ort des Geschehens. Diejenigen, die das nicht taten, stießen mit homophoben Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Rechtsradikalen zusammen. Eine österreichische Staatsbürgerin, die am Pride teilgenommen hatte und in eine Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen geraten war, wurde festgenommen und sieht sich derzeit einem Verfahren wegen Landfriedensbruchs ausgesetzt.

Wie in den letzten Jahren auch wurde der Budapest Pride March 2012 Anfang April zunächst von der Polizei verboten. Direkt am folgenden Tag stellte die Community ein Promovideo ins Netz und lachte die Argumente der Polizei weg, die sich darauf stützten, dass die vorgesehene Route zu Behinderungen führen würde. Dabei war die gleiche Route wie im Jahr zuvor gewählt worden. Eine Woche später erging eine Gerichtsentscheidung, die die Entscheidung der Polizei als rechtswidrig verurteilte. Der Pride March kann also auch in 2012 stattfinden.

Doch wie steht es um die Sicherheit des Prides  und der Eurogames im Jahr 2012? Die ungarische Regierung ist autokratisch, rechts und homophob. Die homophobe Stimmung in der Regierung kam zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass die Partei Jobbik, derzeit die dritte Kraft im Parlament, durch Ádám Mirkóczki, einem Vertreter des parlamentarischen Ausschusses für Menschenrechte, am 10.04.2012 für eine Kriminalisierung von LGBT eintrat. Die Stadt Budapest, die für die Sicherheit der dortigen LGBT-Veranstaltungen zuständig ist, behindert eher, als ein vernünftiges Konzept vorzulegen. Der Budapester Oberbürgermeister, István Tarlós, hatte sich am 27.09.2011 in einem Brief an Klaus Wowereit zu den Eurogames wie folgt geäußert: „…Ich persönlich bin mit der Veranstaltung der 14. Eurogames nicht einverstanden. Natürlich nehme ich zur Kenntnis, dass es mit der von der Organisation vertretenen Lebensart gleichfühlende und gleichdenkende Mitmenschen gibt. … Von meiner Seite aus, als Oberbürgermeister und als Privatmensch, distanziere ich mich allerdings von einer solchen Lebensweise als auch von der Veranstaltung. So liegt es mir nicht in meiner Kraft, diese zu unterstützen. Hiermit bitte ich Sie, meinen Standpunkt zu akzeptieren und bitte für Ihr Verständnis…“

Volker Beck, erster parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen Fraktion im Deutschen Bundestag, berichtet, der ungarische Botschafter Dr. Czukor habe mittlerweile betont, dass die Eurogames in Budapest stattfinden und von der Polizei der ungarischen Hauptstadt vor Übergriffen durch Rechtsextreme geschützt würden. Es sei bedauerlich, dass dieser Polizeischutz notwendig ist, aber die Sicherheit der Teilnehmenden werde an oberster Stelle stehen. Der Botschafter habe zudem angekündigt, dass der Oberbürgermeister von Budapest Informationen zur Sicherheit übersenden wird. Bislang liegt allerdings noch kein überprüfbares Sicherheitskonzept vor.

Eine solidarische Unterstützung der ungarischen LGBTIQ-Community aus dem Ausland ist wichtig. Die Teilnahme an den Eurogames stellt allerdings nach derzeitigem Stand nach wie vor ein Sicherheitsrisiko dar. Der Schutz der indoor-events soll soweit gewährleistet sein. Nicht die Teilnahme an den Sport- und Kulturveranstaltungen an sich, sondern das offene lesbische Leben auf Budapests Straßen stellt die größere Mutprobe dar. Die Eurogames sind eine Herausforderung an die Bereitschaft zur Antidiskrinminierung und verlangen nach entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten, die auch von den Teilnehmenden an den Eurogames in der Vorbereitung trainiert werden sollten.

Pride Demo Budapest 2011Das lesbische Leben in Ungarn pulsiert in Budapest. Doch wie leben die Lesben in Ungarns Metropole? Besonderes Kennzeichen des ungarischen Lesbenlebens ist das gegenseitige aufeinander Aufpassen im homophoben Umfeld. In Budapest hat die ungarische Lesbenvereinigung Labrisz ihren Sitz. Die Aktivistinnen von Labrisz haben ihrem gemeinsamen Tun als Ziel gesetzt, eine Lesbencommunity zu bilden. Offen lebende Landlesben gibt es nur wenige. Sie ziehen meistenteils in die Großstadt. Labrisz hilft dort, die Selbstakzeptanz von Lesben zu stärken und ist dabei, die lesbische Kultur zu erforschen, zu kultivieren und zu verbreiten. So wird die Sichtbarkeit von Lesben gefördert. Mittlerweile gibt es eine Lesbenbibliothek und ein Lesbenarchiv über Lesbengeschichte („herstory“). Auch der Dialog mit der Gesellschaft gehört zu den Tätigkeiten von Labrisz. So publiziert die Budapester Lesbenvereinigung wissenschaftliche Veröffentlichungen unter anderem zu Gender-Themen. Labrisz hat das Buch „eltitkolt évek“ (Verheimlichte Jahre) über 16 Lesbenlebensbiographien von Frauen über 40 herausgebracht. Hierzu hat Mitfrau Mária Takács 2009 den gleichnamigen Film (secret years) gedreht, der nun als DVD mit Untertiteln in 12 Sprachen herausgebracht wurde. Die Mitfrauen von Labrisz gehen außerdem aktiv an die Schulen und bereichern den Unterricht mit der Sichtbarkeit lesbischen Lebens.

Einen Beitrag zur Antidiskriminierung leistet Mária Takács noch als Human-Rights-Aktivistin in ihrer Reihe von provikativen Videos mit dem Titel „Was hättest du getan?“ (Te Mit Tennél?). Hierbei werden mit versteckter Kamera Mitmenschen gefilmt, wie sie sich in der Öffentlichkeit verhalten, wenn etwa Roma, Obdachlose, Schwule, die von Schauspielenden dargestellt werden, von ebenfalls schauspielenden Provokateuren angefeindet werden. Diese Filme sind dazu bestimmt, im Schulunterricht gezeigt und zum Anlass genommen zu werden, Antidiskriminierung zu üben.

Farsang 2012Im Café Vis Major,direkt an der Margaretenbrücke gelegen, trifft frau sich zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch und zum Feiern. Dorthin lädt auch der Gobbi Hilda Filmclub ein. Es werden monatlich internationale Lesbenfilme im O-Ton mit ungarischen Untertiteln gescreent und anschließend unter Moderation diskutiert.

Alljährlich zum Karneval lassen es die Budapester Lesben im Ösztrosokk mit 600 Närrinnen krachen. Die Kultband Pink Csikk hat dann ihren Saisonhöhepunkt.

Das Jahr über gibt es natürlich auch Aktionen wie anlässlich des Weltfrauentags oder des Internationalen Tags gegen Homophobie und Demonstrationen gegen die Regierung. Die Lesben gehen auf die Straßen.

Workshop LIFT 2012Seit 2005 veranstaltet Labrisz alljährlich im Oktober in Budapest das LIFT mit 1500 Besucherinnen in 2011. Bei diesem lesbischen Identfikations- und Filmfest werden eine Woche lang internationale lesbische und queere Filme im öffentlichen Raum gezeigt. Da Wert auf internationales Publikum gelegt wird, sind die Filme nicht nur in ungarischer sondern auch in englischer Sprache untertitelt. Zum Abschluss des LIFT gibt es einen Tag mit Ausstellungen, Themenworkshops, Lesungen, einen Literaturwettbewerb sowie die Preisverleihung an eine lesbische Aktivistin für besonderes Engagement. Gekrönt wird die Veranstaltung mit einer Party, die auf drei dance floors und einem Poker-Turnier die Nacht kurz werden lässt.

Die Zeit des Rechtsrucks der ungarischen Regierung verbunden mit der Ausgrenzung von Minderheiten in einem Klima völkischen Denkens haben die ungarischen Aktivistinnen zusammenrücken lassen. Gemeinsame Spaziergänge, Ausflüge in die ländliche Lesbenkolonie von Szatina südwestlich des Plattensees, die internationale Vernetzung in englischer Sprache, regelmäßig stattfindende Workshops und Diskussionsrunden in den Räumen von Labrisz runden das lesbische Leben in Ungan ab und stärken den Zusammenhalt der ungarischen Community.

Budapest Pride 2011:

Regina Sigmund
www.lesben-recht.de/

Über Regina Sigmund
Die Autorin Regina Sigmund lebt und arbeitet als Rechtsanwältin in Rüsselsheim. Ihr Spezialgebiet ist alles Rund ums Recht für Lesben. Im Radio Rüsselsheim hat sie mit der Sendung Regenbogen auch ihren eigenen Beitrag zur Sichtbarkeit von Lesben. http://www.lesben-recht.de

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige


Anzeige LITfest homochrom 06.–08.08.2021

visuelle

  • Fernsehinfos vom 14. bis zum 27. Dezember 2024
  • Fernsehinfos vom 30. November bis zum 13. Dezember 2024
  • Fernsehinfos vom 12. bis 29. November 2024
  • Radiotipp: Die Linguistin Luise F. Pusch im Gespräch
  • Buchtipp: Daniela Schenk: Mein Herz ist wie das Meer
  • Buchtipp: Elke Weigel – „Wind der Freiheit“
  • Buchtipp: „Riss in der Zeit“ von Ahima Beerlage
  • Filmtipp zum 75. Geburtstag von Ilse Kokula
  • Ilka Bessin: Abgeschminkt – Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede
  • Interview und Verlosung zu 25 Jahre „Krug & Schadenberg“
  • Der Schottische Bankier von Surabaya: Ein Ava-Lee-Roman
  • CD-Review: LAING sind zurück mit neuem Album
  • Interview: „Diversity muss von der Führung kommen“
  • 5 Serien für Fans starker TV-Charaktere …
  • „Danke Gott, dass ich homo bin!“ – Filmreview von „Silvana“
  • Buchrezi: „Lesbisch. Eine Liebe mit Geschichte“
  • Rückblick auf die NorthLichter
  • DVD-Rezi: „Call My Agent“ – Staffel 2
  • Berlin: Etwas andere Pride Parade am 23. Juni 2018 …
  • Buchrezi: Carolin Hagebölling „Ein anderer Morgen“
  • Ausstellungseröffnung „Lesbisches Sehen“ im Schwulen Museum Berlin
  • „The Einstein of Sex“ – Stück über Magnus Hirschfeld
  • „Here come the aliens“ – Das neue Album von Kim Wilde
  • Album-Review: Lisa Stansfield „Deeper“