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Friendly Fire: Vorwürfe gegen HRC-Kampagne

„Privilegiert und ausgrenzend“

Wenn Heiraten Dir wichtig ist und Du das öffentlich ausdrücken willst, lass Dich nicht aufhalten. … Aber bitte informier Dich vorher, wen Du unterstützt. HRC hat eine lange, schlimme Vergangenheit mit praktisch jedem, außer ihren wohlhabenden Spendern. Sie sind einfach gut darin, sich zu vermarkten. Lass Dich nicht täuschen.
Quelle: About those red equal signs

HRC-Logo in rot: Lady Liberty küsst JustiziaVor 2 Wochen haben wir die roten Quadrate mit den rosa Gleichheitszeichen vorgestellt, mit denen Unterstützung für die Legalisierung der Ehe unter gleichgeschlechtlichen Paaren signalisiert wird. Der Solidaritätsaufruf der amerikanischen Lobbyist_innen von Human Rights Campaign (HRC) verbreitete sich in Windeseile im Netz, weltweit entstanden kreative Versionen – Miss Liberty küsste Justitia, Ernie und Bert fragten sich, wie lange sie noch warten müssen, auf dem Mond wurde die Flagge für Equality gehisst und selbst grummelnde Katzen sprachen sich für die gleichgeschlechtliche Ehe aus – die Facebook-Profile von Beyoncé, Felicity Huffman, Fergie von den Black Eyed Peas und fast drei Millionen anderen, unter ihnen 13 Mitglieder des US-Kongresses, leuchteten in Rosarot. Laut HRC wurde das Logo zehn Millionen Mal verbreitet. Super Sache.

Oder?

Kritik kommt nun ausgerechnet aus den eigenen Reihen: Zahlreiche BloggerInnen der LGBT Community, aber auch einige MedienvertreterInnen riefen dazu auf, die roten Quadrate aus den Profilbildern zu entfernen. Dr. Laurie Essig, Dozentin für Frauen- und Genderstudien am renommierten Ostküsten-College von Middlebury (Vermont) stellt gar die provokante Frage: Was, wenn die gleichgeschlechtliche (und die heterosexuelle) Ehe schlecht für die meisten Amerikaner wäre?

Die wichtigsten Positionen im Überblick

Die 1980 gegründete Lobby-Organisation, die sich hauptsächlich für die Gleichgestellung der Ehe zwischen homosexuellen Paaren einsetzt, steht schon seit geraumer Zeit in der Kritik. Die Gründe dafür reichen von Intransparenz in Sachen Mitgliederzahlen bis zur Bevorzugung der Politik der Demokraten. Den schwersten Vorwürfen sah sich die Organisation ausgesetzt, als sie sich 2004 grundsätzlich bereit erklärte, die Forderungen nach gleichen Rechten zugunsten von politischen Kompromissen aufzuweichen; und drei Jahre später, als sie einen Gesetzesentwurf gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz unterstützte, der die Rechte von Transgendern außer Acht ließ.

Vor zwei Jahren dann „adelte“ HRC ausgerechnet die Investmentbanker von Goldman Sachs mit einem Workplace Equality Innovation Award. Eine besonders zynische Entscheidung, nicht nur vor dem Hintergrund der hohen Obdachlosigkeit unter queeren Jugendlichen, zu der HRC bisher nicht nachdrücklich Stellung bezogen hat. Aktivist Tommi Avicolli Mecca sagt dazu

Ich habe keinen Zweifel, dass HRC (inzwischen) eher ein Ballast als eine Bereicherung für die Queer Community ist. Was ist die Botschaft dieser Auszeichnung? Dass es okay ist, so viel Geld wie möglich zu machen, selbst wenn dabei die Wirtschaft dieses Landes zugrunde geht, so lange man Rechte für Homosexuelle unterstützt? Es ist an der Zeit für uns alle, „Es reicht!“ zu sagen und aufzuhören, HRC in irgendeiner Weise zu unterstützen.

In der Kritik an den Zielen von HRC, bzw. wie diese verfolgt werden, schwingt schon ein gewisses Misstrauen an der Sache an sich mit, nämlich die Frage: Sollten Paare gegenüber anderen Lebensentwürfen überhaupt bevorzugt werden, egal ob hetero- oder homosexuell? Greift das Engagement, das sich zurzeit auf die rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen konzentriert, nicht zu kurz?


Die Ehe als Institution hat bisher lediglich Platz für Menschen, die in ihren Pässen jeweils ‘Mann’ und ‘Frau’ stehen haben. Dass diese nun geöffnet werden soll für das homonormative Mann-Mann und Frau-Frau Schema, ist zwar eine vermeintlich progressive Veränderung, sie geht allerdings mit der Tatsache einher, dass ganz viele Lebensrealitäten damit wieder einmal auf ihren (unsichtbaren) Platz verwiesen werden,

schreibt Magda Albrecht von der Mädchenmannschaft.

Mit der Frage, warum „die Institution Ehe als DAS Schlachtfeld für “Homorechte” und gegen Homofeindlichkeit stilisiert wird“ und der Verwunderung darüber, „dass der Kampf dafür, Teil einer (schon immer ausschließenden und exklusiven) Institution“ einen so hohen Stellenwert im Engagement nicht nur der Community, sondern auch in der Unterstützung heterosexueller BefürworterInnen sowie der Berichterstattung  einnimmt, ist sie nicht allein: So bemängelt die US-Bloggerin Mia McKenzie, dass unglaublich viel Zeit, Energie und Geld aufgewendet werden, damit eine bestimmte Gruppe Menschen, die eh schon sehr privilegiert ist, noch ein weiteres Privileg erhält. Wie viele andere LGBT Aktivist_innen kritisiert sie, dass dieser Kampf auf Kosten wichtigerer Themen ausgefochten wird, zum Beispiel der Bekämpfung von Gewalt gegen Transgender, der Aufmerksamkeit für die hohe Selbstmorderate queerer Jugendlicher, der höheren Sichtbarkeit von LGBT mit Beeinträchtigungen.

Eng mit der Kritik am mangelnden Einsatz von HRC für die Rechte von Transgendern verbunden ist diese Argumentation: Um wegzukommen vom Klischee der hedonistischen Homosexuellen werde das Bild des konservativen, bürgerlichen Pärchens aufgebaut, das in jedem CSU-Kreisverband Platz hätte – wäre es denn heterosexuell. Man fürchte, sich stärker für die Interessen von Transgender, Intersex und Queers einzusetzen, könne dem Ansehen der „bürgerlichen Schwulen und Lesben“, die immerhin in die üblichen Genderschablonen passen, schaden. Der Vorwurf: Damit füttere ausgerechnet die Community transphobe Vorurteile. Dr. Ian Barnard, Privatdozent an der California State University und Mitbegründer von Queer Nation San Diego, erklärt

Es reicht nicht, gegen Homophobie zu sein. Eine Menge Leute, die gegen Homophobie eintreten, sind gleichzeitig rassistisch, sexistisch und transphob.

Dass Transphobie selbst in der lesbisch-schwulen Szene ein Problem ist, ist kein Geheimnis.


Auch diesseits des Atlantiks wird darauf hingewiesen, dass einige Themen angesichts der hohen Aufmerksamkeit für die Ehe-Frage unter den Tisch fallen: In einem Interview, das neues deutschland unter der Frage „Homo-Ehe gut, alles gut?“ am 5. April veröffentlichte, sagt Nicolas Gougain vom französischen Inter LGBT über die Situation seines Landes, in dem die Öffnung der Ehe beschlossene Sache ist, dass Homosexualität im Arbeitsleben nach wie vor ein Tabuthema ist. Auch er verweist auf die höheren Suizidraten bei homosexuellen Jugendlichen.

Siegessäule, das schwul-lesbische Stadtmagazin Berlins, stellte Anfang April die sieben Thesen des dänischen Autors und Aktivisten Mads Ananda Lodahl vor. In der Zusammenfassung:

Homo-Ehe ist kein Weg für Queers, die heterosexuelle Weltordnung zu verändern, sondern ein Instrument der heterosexuellen Weltordnung, uns zu verändern.

Was bei anderen KritikerInnen, wie beispielsweise Dr. Essig, noch moderat klingt, artet bei Lodahl in Herabwürdigung aus –  nicht nur von Heterosexuellen, sondern auch von Homosexuellen, die verheiratet leben möchten. Die Thesen grenzen an Verschwörungsparanoia und sind in sich ebenso diskriminierend wie Homophobie, Sexismus oder Rassismus. Hinzu kommen utopische Visionen, die vergessen, dass Veränderungen manchmal viele kleine Schritte brauchen, und die im Übrigen ohne Vorschläge zur Umsetzung daherkommen. Und womit haben eigentlich Homosexuelle, die heiraten möchten, diese Feindseligkeit verdient?

So fragt der (schwule) Welt-Redakteur Tilman Krause: „Was wollen die Schwulen eigentlich im Mainstream?“ Und antwortet gleich selbst: „Statt in der Normalität aufzugehen, sollten sie lieber ihre Differenz betonen.“ Dass mit der Ehe auch Rechte für Kinder dieser Paare verbunden sind, lässt er in einem Artikel, in dem Lesben gar nicht erst vorkommen, völlig aus. Schwule sollen sich hingegen in der Rolle des Klassenclowns der Gesellschaft gefallen, die allen „unfreien Strebern“ und verklemmten Heteros, die sich Sorgen um die „unsägliche Sexismus-Debatte“ machen, zeigen, wie man so richtig „locker“ ist. Fazit: „Im Grunde brauchen die Schwulen Homo-Ehe und Adoptionsrecht gar nicht.“ Diese Logik kann er ja mal einem Paar mit Kindern erklären. Und Katherina Reiche wird es freuen, das zu hören.


Sich für die Öffnung der Ehe zu engagieren, ist weder eine Kampfansage an die traditionelle Ehe noch an andere Lebensentwürfe. Wer die Ehe für überkommen, patriarchalisch, heteronormativ, langweilig etc. hält, muss nicht heiraten. Aber ein Recht kann man nur ablehnen, wenn man es hat. Und dass andere Themen besprochen werden, wie beispielsweise Unterstützung für Familien (oder andere „Versorgungsgemeinschaften“) statt des überholten Ehegattensplittings, wurde erst durch die Debatte um die Anerkennung der Ehe so richtig angestoßen.

Es ist schade, dass der Eindruck entsteht, es sei falsch, sich für die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe einzusetzen, weil es andere Ungerechtigkeiten gibt, gegen die sich einzusetzen lohnt. Die Anerkennung der Ehe ist deshalb aber nicht weniger unterstützenswert. Sie ist zunächst ein juristischer Akt, der für Gleichstellung vor dem Gesetz sorgt. Auch die Einführung des Frauenwahlrechts hat nicht gleich alle Probleme gelöst, mit denen Frauen konfrontiert werden.

Aber die Aufmerksamkeit der Medien, geben manche zu bedenken. Ändert die Aufmerksamkeit für die Ehe daran etwas? Ja, im Positiven, denn: Würde sich ein Großteil der Presse für LGBT Themen interessieren, wenn es die aktuellen Entwicklungen nicht gäbe? Kann so vielleicht ein Bewusstsein für andere Themen geschaffen werden? Und wer sagt, dass auf den Protest für die Anerkennung der Ehe nicht viele weitere folgen werden?

Die Auseinandersetzung zwischen Realos und Fundis der LGBT Community überfrachtet die Diskussion um die Ehe mit Wünschen und Hoffnungen, die diese nicht erfüllen kann. Dass die Gleichstellung der Partnerschaft Schwule und Lesben auf allen Eben gleichstellt, oder dass sie ein Anliegen aller Homosexuellen ist, glauben sicher nicht einmal die glühendsten BefürworterInnen. Natürlich ist sie vielmehr eine nie dagewesene Öffnung, ein Riesenschritt hin zu weiteren Änderungen, für die es dann Präzedenzfälle gibt. Und ist sie nicht auch Anlass, die Ehe als Institution zu überprüfen?

P.S.: Allen, die Angst haben, mit der Eheschließung in eine heteronormative Falle zu tappen, sei ein Text von Mark Doty empfohlen, in dem der (vormalige) Hochzeitsskeptiker seine Hoffnung beschreibt, wie die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ein neues Bild der Ehe prägen könnte:

Wir waren schon immer erfinderisch, einfallsreich und aufgeschlossen für all die vielen Wege, auf die Menschen zusammen sein und ein gemeinsames Leben aufbauen können.


Dr. Essig wirft ihren (heterosexuellen) Facebook-Freunden, die sich mit den Zielen von HRC und anderen Aktivist_innen für die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe identifizieren, vor, dass sie dabei vergäßen, wie wenig Bedeutung diese Anerkennung für sie als alleinerziehende Mutter hat. Und bei der Mädchenmannschaft heißt es:

Solidarität für von Homofeindlichkeit betroffene Menschen entsteht nicht dadurch, einen entrüsteten Status-Update auf Facebook zu veröffentlichen, dass Lesben und Schwule immer noch nicht heiraten dürfen.

Doch, genau so entsteht Solidarität, unter anderem. Ich stelle mir vor, ich poste einen Artikel von Greenpeace, der mich dazu angeregt hat, meine Freunde aufzurufen, Vegetarier zu werden. Am nächsten Tag lese ich, dass Greenpeace enttäuscht ist, dass ich nicht gleich alle zum Veganismus aufgerufen habe, oder dass von vornherein daran gezweifelt wird, dass es mir Ernst damit ist.


Wer am Wochenende „Slacktivism“ bei Twitter eingab, fand viele Tweets, mit denen sich Unterstützer der HRC-Kampagne gegen den Vorwurfs des „Slacktivism“ verteidigten, also dem typischen Online-Aktivismus, der außer ein paar Klicks nicht viel Einsatz fordert. Es ist kurzsichtig, um nicht zu sagen, herablassend, all jene als Slacktivists zu verhöhnen, die durch Tweets, Profilbilder, Memes etc. dazu beitragen, dass Themen von traditionellen Medien aufgegriffen werden und so auch diejenigen erreichen, die nicht bei Facebook, Twitter, Tumblr und Co. unterwegs sind. Anstatt eine Menge Leute, die sich vielleicht zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigen, dort abzuholen, sorgen solche Angriffe für Ermüdungserscheinungen, wie sie der Kommentar einer Leserin der Süddeutschen Zeitung zusammenfasst: „Welche Grafik muss ich jetzt nehmen, um alle zu retten?“

Wer die „Slacktivist“-Karte zieht, übersieht außerdem die Beweggründe vieler so Gescholtener, wie die Bloggerin Jenny Davis auf Cyberology erklärt:

Aus meiner privilegierten (heterosexuellen) Position war die Änderung meines Profilbildes ein Weg, zu zeigen, dass es dabei nicht nur um Rechte für queere Leute geht, sondern um eine Menschenrechtsfrage, die uns alle betrifft.


Mehr zu Katrin Heienbrock
Porträt Katrin HeienbrockKatrin Heienbrock, 35, arbeitet seit zwei Jahren in Berlin als freiberufliche Autorin. Sie ist Nachteule, Serienjunkie, Bücherwurm, und freut sich, für phenomelle über Themen zu schreiben, die ihr am Herzen liegen.

 

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