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Lesbischer Preis an Verfassungsrichterin Susanne Baer

Der Augspurg-Heymann-Preis für couragierte Lesben 2013

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Diejenigen, die es sich leisten können, sollten mehr Courage zeigen

Kurzweilig, amüsant und äußerst informativ, so lässt sich die gestrige Preisverleihung beschreiben. Bereits zum 5. Mal zeichnete die LAG Lesben in NRW eine couragierte Lesbe aus. Charmant und ausgestattet mit viel Hintergrundwissen führte die Historikerin Dr. Ann Marie Krewer durch die gut eineinhalb stündige Veranstaltung. Das Highlight war natürlich die Preisträgerin Prof’in Dr. Susanne Baer selbst. Die Freude über die von der Künstlerin Amsel Gerlinde Korn gestaltete Figurine war ihr deutlich anzusehen. Bescheiden wies sie in ihrer Dankesrede darauf hin, dass sie den Weg nie allein gegangen sei. Sie wird den Preis auf jeden Fall sichtbar in ihrem Büro aufstellen – als Zeichen, erzählte sie im Anschluss an die Feierlichkeiten.

Frühere Preisträgerinnen anwesend

Dr. Marie SichtermannVorjahrespreisträgerin Dr. Inge von Bönninghausen erinnerte mit Moderatorin Krewer noch einmal sehr kenntnisreich an die Namensgeberinnen des Preises Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, zwei der zentralen Figuren der 1. Frauenbewegung. Mutig und couragiert hätten auch sie juristische Grenzen ausgetestet.

In einem kurzen Vortrag reflektierte Dr. Marie Sichtermann, ebenfalls Juristin, sehr persönlich über das Rechtssystem. Und stellte klar, dass Feministinnen es sich zur Gewohnheit gemacht haben, den Gesetzen voraus zu eilen. Die amüsante Rede stellen wir in Kürze auf phenomenelle vor. Auch die Preisträgerin 2010, Schauspielerin, Kabarettistin und Sängerin, Maren Kroymann saß im Publikum.

„Susanne Baer will Politik, nicht Identität“

Maren Kroymann,Renate Rampf, Pressesprecherin des Lesben- und Schwulenverband Deutschland und Weggefährtin Baers, hielt die Laudatio. In einem kurzen Abriss beschrieb sie die „atemberaubende Vita“ der 49-jährigen Jura-Professorin. Die für sie bestimmenden Themen sind: Würde, Freiheit und Gleichheit. Ihr gelingt, es Recht zu vermitteln. Nach Studienanfängen in Jura und Politik, hat sie sich schließlich für das Recht entschieden und schnell Karriere gemacht. Dabei ist sie immer klar und offen aufgetreten. Baer brauchte nie ein klarstellendes: „Und das ist auch gut so!“. 2010, nach ihrer Berufung an das höchste deutsche Gericht, nannte die Financial Times sie „Prof. Dr. Ungewöhnlich“.

Das Interview mit der Preisträgerin

Phenomenelle gratuliert Prof. Dr. Baer herzlich zu dieser Anerkennung ihres wissenschaftlichen und juristischen Engagements und sprach anlässlich der Preisverleihung mit ihr über Feminismus, Genderpolitik und lesbische Courage (das Interview führte Katrin Heienbrock).

Selbstverständlich lesbisch – das wäre vermutlich mein Lieblingsmotto

Frau Prof. Dr. Baer, können Sie für unsere Leserinnen kurz erklären, was „Gender“ im Recht bedeutet?
Gender bezeichnet heute das Geschlecht und Geschlechterverhältnisse im Kontext – das ist also nicht der isolierte Blick auf Frauen oder Männer oder beide oder mehr, sondern noch viel mehr. Es ist die Frage nach der Bedeutung von Geschlecht an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten und – das ist besonders wichtig – im Zusammenwirken mit anderen, ähnlichen Aspekten wie Alter, Behinderung oder auch Ethnizität, eben: Geschlecht im Kontext.

AHP2013_Baer01Diese „Aspekte“ entpuppen sich meist als Strukturen der Ungleichheit, als Anknüpfungspunkte für Diskriminierung. Und spätestens da kommt das Recht ins Spiel: Es steht schon ganz grundsätzlich für die Anerkennung aller Menschen als Gleiche, mit ihrer Menschenwürde, möglichst selbstbestimmt – und wendet sich heute auch ausdrücklich gegen jedwede Ausgrenzung, gegen Diskriminierung. Damit richtet sich Recht gewissermaßen gegen Verhältnisse, die sich an Gender orientieren – und deshalb müssen wir sehr genau verstehen, wo Gender im Recht eine Rolle spielt. Bei Regelungen zum Mutterschutz springt das ins Auge – bei Regeln zur Sozialhilfe läuft es hingegen meist versteckt oder „mittelbar“, wie es juristisch heißt. Gender ist im Recht genauso präsent wie im Leben – und deshalb ist es auch genauso kompliziert wie wichtig, exakt zu sagen, welche Rolle es für wen genau spielt.

Protest ändert sich, das Ziel bleibt: Diskriminierung zu beenden

Was halten Sie von der Initiative der Universität Leipzig, künftig nur noch weibliche Personenbezeichnungen in ihrer Grundordnung zu verwenden? Sie haben in Ihrem Aufsatz „Hat das Grundgesetz ein Geschlecht?“ einmal von „verkrampftem Humor“ gesprochen, wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht. Verdeutlicht die Feminisierung also nur die männliche Dominanz in Gesetzestexten – oder könnte sie Schule machen?
Wer einmal versucht hat, offizielle Texte geschlechtergerecht zu formulieren – und ich meine: geschlechtergerecht, denn das ist mehr als geschlechtersensibel – hat sicherlich eine lebhafte Erinnerung an die plötzliche Humorlosigkeit, die auftaucht, wenn man sich nicht mit einem schnellen Spruch zur Banalität des Themas zufrieden gibt, sondern wirklich etwas ändern will. Der Humor derjenigen ist verkrampft, die uns dann als „überempfindlich“ oder „verbissen“ bezeichnen.

Die Feminisierung dreht nun die Verhältnisse um – und sie provoziert, weil die einseitig maskuline Fassung offensichtlich Vielen ungemein wichtig ist. Wenn zugleich behauptet wird, es handle sich bei der Sprache nur um Kosmetik, wird deutlich, wie scheinheilig die Verfechter des Maskulinums diskutieren – und die Provokation hilft, das zu erkennen. Es könnte als eine Art Wiedergutmachung auch durchaus Schule machen, oder? Sprache ist jedenfalls nicht banal, und der Einsatz für geschlechtergerechte Formulierungen zwar oft unerfreulich, aber wichtig.

Sie setzen sich stark für Frauenrechte, für feministische Belange ein. Wie sehen Sie den Feminismus der jüngeren Generation, beispielsweise die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Initiative #aufschrei oder Aktionen wie die Femen-Proteste?
Ann Marie Krewer, Inge von Bönninghause, Renate Rampf, Susanne Baer, Marie Sichtermann, Musikerinnen (von li.)Ich habe zwar immer Schwierigkeiten damit, politisches Denken und Handeln in Generationen zu unterteilen, da Alter doch eher eine gefühlte Kategorie ist. Beeindruckend ist aber doch, wie aktuell der Feminismus wieder ist – in all seiner Unterschiedlichkeit. Wir müssen allerdings weiter aufpassen, nicht denunziert zu werden, denn was gängige Medien feministisch nennen, ist es nicht immer. Und nackte Frauen sind es sehr oft nicht, erst recht nicht in mehrheitlich islamischen Ländern. Feministische Aktionen reflektieren die Zusammenhänge, in die sie intervenieren, kritischer!

Außerdem fällt auf: Die Anlässe für heutigen feministischen Protest sind erschütternd klassisch. Es geht sehr oft um sexuelle Belästigung, um sexualisierte Gewalt, es geht um Ausgrenzung oder auch um ökonomische Benachteiligung. Hier mögen sich Formen des Protests verändern, aber das Ziel bleibt: Diskriminierung zu beenden.

Zuerst ist der Gesetzgeber am Zug – dessen Arbeit beeinflussen wir alle am Wahltag

Trotz aller Verzögerungen wurde in letzter Zeit viel für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen erreicht, vor allem durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Haben Sie Hoffnung, dass sich bald auch für die Rechte von Trans- und Intersexuellen mehr bewegt?
Das Bundesverfassungsgericht hat gerade auch für Transsexuelle in zahlreichen Entscheidungen sehr viel bewegt, weil der Gesetzgeber sich nicht oder zu langsam bewegte. Das ist die Funktion eines solchen Gerichts: Denen zur Seite zu stehen, die im politischen Prozess nie Mehrheit sein werden und bei denen das Risiko besteht, bei Mehrheiten keine Beachtung zu finden, wenn es um ihre Menschenwürde und ihre Freiheit, also um Gleichheit geht.

Die rechtliche Situation von Intersexuellen ist komplizierter. Das Gericht bewegt die Dinge allerdings ohnehin nur, wenn es gefragt wird – wenn also zu konkreten Konflikten Verfassungsbeschwerden oder Klagen eingereicht werden. Zuerst ist immer der Gesetzgeber am Zug – und was der tut, beeinflussen wir alle am Wahltag.

Ihre Berufung als erste offen lesbische Verfassungsrichterin hat Schlagzeilen gemacht. Hat es Sie viel Überwindung gekostet, Ihr Privatleben so öffentlich zu machen, obwohl Sie wussten, dass dadurch das Risiko besteht, auf diesen Aspekt reduziert zu werden?
AHP2013_Baer03Es sind in der Regel andere, die ein Privatleben öffentlich machen – aber ich habe mich wohl nie versteckt. Das bedeutet nicht, nie Angst gehabt zu haben, und auch heute gibt es keine Garantie für Akzeptanz, nicht einmal für Verfassungsrichterinnen. Aber lesbische Frauen, die nicht existenziell abhängig oder ohnmächtig sind, tun doch gut daran, offen zu leben. Das hilft anderen, die dann sagen können: „Guck mal, die ist es doch auch!“. Und es pluralisiert das Bild, verabschiedet die stereotypen Vorurteile, wenn sichtbar wird: „Ach, die ist auch eine …?!“ Ich werde ja nur „reduziert“, wenn Menschen nicht wissen, wie unterschiedlich lesbische Frauen sind und sein können. Vielleicht kommt es dann irgendwann nicht mehr darauf an. Derzeit gilt aber: Je mehr Frauen ganz selbstverständlich offen lesbisch leben, desto besser!

Ist das Private politisch?
Es war es immer, es ist es auch jetzt. Gemeint ist ja oft: Ist Sex öffentlich? Ich persönlich denke: Nein. Aber die Frage nach der Anerkennung meiner Lebensweise, meiner Identität, und nicht zuletzt meiner Liebe – die ist politisch.

Ein Preis für das autonome feministische, lesbische Engagement von Vielen

Sie sind die fünfte Preisträgerin des Augspurg-Heymann-Preises. Ist ein Preis in im Namen der beiden feministischen Vorreiterinnen und Friedensaktivistinnen eine besondere Ehre?
Ganz eindeutig: ja! Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg sind für mich seit langem inspirierende Heldinnen der ersten deutschen Frauenbewegung –  in einer faszinierenden Mischung aus Kunst und Kapital, Recht und Radikalität, Aktivismus und wieder: Liebe. Sie zeigen, wie unterschiedlich wir sein können, wenn wir uns jedenfalls in einer Frage einig sind: Diskriminierung nie zu tolerieren, Ausgrenzung zu bekämpfen, für Toleranz einzustehen, auch wenn es etwas kostet.

Wofür die beiden stehen, haben mir nicht zuletzt ältere Frauen erzählt, mit denen ich feministisch zusammen arbeiten und von denen ich lernen durfte. Wenn ich jetzt von der LAG in Bochum mit diesem Preis ausgezeichnet werde, ist das für mich eine große Ehre, aber damit auch ein Preis für dieses autonome feministische, nicht zuletzt selbstverständlich unterschiedlich lesbische Engagement von Vielen.

Der Preis wird an lesbische Frauen vergeben, die „couragiert öffentlich wirken“. Sind Lesben zu oft zu defensiv?
Viele Frauen, die Frauen lieben, haben leider gute Gründe, defensiv zu sein. Nicht jede kann sich leisten, anzuecken. Aber diejenigen, die es sich leisten können, sollten mehr Courage zeigen – sie öffnen damit Türen, weisen Wege, schaffen Chancen. Das tut zwar manchmal weh, aber es ist es wert – nicht nur für unsere Selbstachtung, sondern auch für andere.

Lesbische Frauen kommen im öffentlichen Leben, in den Medien und der gesellschaftlichen Wahrnehmung verhältnismäßig selten vor. Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern, damit sie sichtbarer werden?
Selbstverständlich lesbisch – das wäre vermutlich mein Lieblingsmotto. Niemand muss ab heute primär lesbenbewegt unterwegs sein – aber je mehr ganz selbstverständlich auch lesbisch leben, desto eher wird unsere ganze Vielfalt akzeptiert.

Der Augspurg-Heymann-Preis

Am 30. Juni erhielt die Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Susanne Baer den Augspurg-Heymann-Preis. Der nicht-dotierte Preis der LAG Lesben in Nordrhein-Westfalen wurde zuvor schon der Journalistin Dr. Inge von Bönninghausen, der Sportwissenschaftlerin und ehemaligen Bundesliga-Fußballerin Tanja Walther-Ahrens, der Schauspielerin Maren Kroymann sowie der Schriftstellerin Mirjam Müntefering verliehen. Er ehrt im Namen der Friedensaktivistinnen und Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg (1857-1943) und Lida Gustava Heymann (1868-1943) lesbische Frauen, die durch ihr öffentliches Wirken zu mehr lesbischer Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit beitragen.

Die Preisträgerin

Susanne Baer ist außer ihrer Tätigkeit als Richterin des Bundesverfassungsgerichts auch Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität. Sie leitet dort das „Institut für interdisziplinäre Rechtsforschung – Law and Society Institute (LSI)“; außerdem ist sie Vorstandsmitglied der 2010 gegründeten „Fachgesellschaft Geschlechterstudien (Gender e.V.)“. Die 49-Jährige wird für ihren Einsatz gegen Diskriminierung und für die Gleichstellung lesbischer Frauen in der Rechtswissenschaft ausgezeichnet.

Fotos: Catrin Jörgens

Mehr zu Katrin Heienbrock
Porträt Katrin HeienbrockKatrin Heienbrock, 35, arbeitet seit zwei Jahren in Berlin als freiberufliche Autorin. Sie ist Nachteule, Serienjunkie, Bücherwurm, und freut sich, für phenomelle über Themen zu schreiben, die ihr am Herzen liegen.

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One thought on “Lesbischer Preis an Verfassungsrichterin Susanne Baer”

  1. Susanne Lück sagt:

    Danke für diesen ausfrührlichen Bericht und das erhellende Interview. Wichtige und gute Beiträge zu einer lesbenpolitisch endlich wieder bewegten Zeit!

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