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Nach Protest: Homosexualität_en Plakat doch in Bahnhöfen

„Ende gut, Alles gut“ im Plakatstreit von Münster?

Plakat Homosexualität_en © LarissaDie gute Nachricht zuerst: Das Plakat zur Ausstellung Homosexualität_en darf nun doch in nordrhein-westfälischen Bahnhöfen ausgehängt werden. Das Schwule Museum* Berlin begrüßt diese Entscheidung via Pressemitteilung ausdrücklich, spart aber auch nicht mit Kritik. Vor allem bemängelt das Museum die „konfuse Kommunikation“ des Betreibers der Bahnhöfe und weist auf die Folgen hin, die die „vorläufige Absage für das LWL-Museum“ in Münster habe. Zumal das Unternehmen im letzten Jahr bei der Originalversion der Ausstellung im Schwulem Museum* und im Deutschen Historischen Museum kein Problem damit hatte, das Motiv auf den gleichfalls der Bahn AG gehörenden Berliner S-Bahnhöfen wirkungsvoll zu präsentieren.

Ein unwürdiges Schauspiel bot sich in den letzten Tagen rund um die Münsteraner Variante der viel gelobten Ausstellung Homosexualität_en. Hauptakteur: Die Deutsche Bahn AG. Die rühmt sich ansonsten gern ihrer unternehmensinternen Diversity-Politik. Doch beim Ausstellungsplakat, das die Performancekünstler_in Heather Cassils zeigt, war mit dem Diversity-Ansatz erst einmal Schluss. Die Bahn weigerte sich im Vorfeld der Eröffnung das Motiv in den Schaukästen ihrer Bahnhöfe werbewirksam auszuhängen. Angeblich sei es sexistisch, zu freizügig und verstoße gegen die Richtlinien des Deutschen Werberats, begründete das Unternehmen seine Haltung.

Ein Spiel mit Sehgewohnheiten und Gender

Da hagelte es berechtigten Widerspruch, denn das Plakat zeigt ein Kunstprojekt. Heather Cassils, kanadische_r Performance-Künstler_in, nur mit einem weißen Slip bekleidet, ein durchtrainierter Körper, das Gesicht geschminkt mit knallrotem Lippenstift-Mund. Cassils spielt mit den Sehgewohnheiten von Betrachter_innen. Die uneindeutige Geschlechtszuordnung und das Spiel mit dem scheinbaren Idealkörper machten es gerade zum perfekten Plakatmotiv für Homosexualität_en.

Auch wenn die Bahn Gestern zurückruderte und die Werbeflächen in den Bahnhöfen freigegeben hat, verpufft die vermeintliche Einsicht erst einmal. Der Schaden ist angerichtet. Zu Recht weist das Schwule Museum* darauf hin, dass für sie die Sache „nicht erledigt“ ist. Der Betreiber der Werbeflächen, die Firma Ströer, hat zwischenzeitlich die gut sichtbaren Plätze an einen anderen Kunden vermietet. Gerade zum Beginn der Ausstellung fatal. Homosexualität_en muss sich mit den unsichtbareren Werbeflächen zu frieden geben. Das lässt den Verdacht zu, die Bahn wollte hier nur möglichst billig einen Imageschaden abwenden. Für Gesprächsangebote bleibt das Schwule Museum* aber offen. Sie laden den Kontrahenten zu einer Diskussionsveranstaltung im Rahmen der Ausstellung in Münster oder zu einem anderen Zeitpunkt in Berlin ein. Wenn die es ernst meinen mit ihrer Einsicht, wären sie gut beraten, das Angebot anzunehmen.

Cassils Plakat bereits vorher in der Kritik

Eine pikante Notiz am Rande sei hier noch erlaubt. Die Bahn wurde gerade aus der LGBTI-Community scharf kritisiert. Dabei geriet völlig in Vergessenheit, wie heftig viele Schwule, aber auch einige Lesbengruppen, im Vorfeld der Berliner Ausstellung das Plakat kritisiert hatten. Es wärme alte Klischees über Schwule und Lesben auf, würfele die Sexualität_en durcheinander und polarisiere „auf unserem Rücken“ (mehr darüber in diesem Männer-Artikel) – so nur einige Stimmen. Die Ausstellungsmacher_innen sahen sich nach den massiven Angriffen sogar gezwungen, eine gesonderte Stellungnahme zu veröffentlichen. Ganz verpufft sind die kritischen Anmerkungen bis heute nicht, dazu bedarf es nur eines Blicks in die Kommentarspalte zum aktuellen Plakatstreit auf queer.de. Ein User-Kommentar bringt es auf den einfachen Punkt: „Ich finde das Plakat hässlich“. Die Kritik auf eigene Geschmacksvorlieben zu reduzieren, zeigt aber deutlich, dass sowohl das ursprüngliche Kunstprojekt als auch das Ausstellungsplakat genau den wunden Punkt getroffen haben.

Die Ausstellung ist einen Besuch wert

Die Ausstellung selbst ist in Münster um regionale Stücke ergänzt. Wir von der phenomenelle Redaktion haben bislang nur das Berliner Original gesehen. Wer aber Zeit findet, sollte sie sich unbedingt in Münster ansehen. Eine wunderbare Kulturgeschichte der Homosexualität_en ist den Macher_innen da gelungen. Unbedingt empfehlenswert!

Eröffnet wir die Ausstellung Homosexualität_en am 12. Mail 2016.
Geöffnet ist sie vom 13.5–4.9.2016, Dienstag bis Sonntag und an den Feiertagen 10–18 Uhr

LWL-Museum für Kunst und Kultur
Domplatz 10 • 48143 Münster
Besucherservice T +49 251 5907 201
E-Mail museumkunstkultur(at)lwl.org

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