informelle
phenomenelle des Tages vom 25.1.2013
Laura Himmelreich…
…weil sie zum Thema macht, was keiner hören will. Im aktuellen Stern schreibt sie unter dem Titel „Der Herrenwitz“ über das Tabu ’sexuelle Belästigung‘, personifiziert am Beispiel einer Begegnung mit FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Wer wirklich nachlesen muss, mag das im Stern 04/2013 tun. Himmelreich macht hier eine Begegnung öffentlich – endlich, denke ich laut –, die fast jeder von uns so, oder so ähnlich, schon passiert ist. Der Twitter-Hashtag #aufschrei macht das allzu deutlich. Dabei kommt nur das ans Licht, an das sich Frauen (und auch manche Männer) noch erinnern können.
All die kleinen sexistischen Sätze, Begebenheiten, Wortspiele und Übergriffe, die viele gar nicht mehr benennen können, bleiben verborgen. Wie oft habe auch ich Sätze heruntergeschluckt, weil ich dachte: Das sei normal. Wie oft habe ich Sätze überhört, weil ich dachte: Das sei normal. Wie oft habe ich das kurze Unbehagen verdrängt, weil ich dachte: Das sei normal. Wie oft habe ich geschwiegen, weil ich nicht als hysterisch, Spaßbremse oder Schlimmeres gelten wollte. Pervers, aber wahr; bei der Debatte über den Herrenwitz merke ich auch, was für einen Vorteil das Alter haben kann. Denn die blöden Anspielungen werden – zumindest gefühlt – tatsächlich weniger mit dem Alter.
Kaum war aber der Aufschrei von Himmelreich da, scharten sich die Brüderle-Verteidiger zusammen. Da wird relativiert und beschönigt. Die Motivation von Himmelreich (Ja, ich weigere mich, von ihr als Opfer zu sprechen) hinterfragt. Warum gerade jetzt? Warum hat sie so lange gewartet? Eine Kollegin nennt das, den letzten Widerstand, das letzte Aufgebot des Patriarchats. Irgendwie treffend. Mag sein, dass der Zeitpunkt ungünstig war. Wer weiß aber schon, wie lange Himmelreich bereits versucht hat, das Thema unterzubringen in ihrer Redaktion? Am Ende spielt es keine Rolle.
Denn es geht gar nicht um Brüderle. Es geht darum, dass die geschilderten Ereignisse täglich passieren. Es geht um Macht. Und darum wie Menschen (in diesem Fall tatsächlich meist Männer) ihre Macht missbrauchen. Und darum, dass das Thema Sexismus auch in Deutschland endlich auf die Agenda kommt. Das hat Laura Himmelreich zumindest für den Moment erreicht. Dafür können wir ihr gar nicht dankbar genug sein. Kollegin Patricia Dreyer stellt bei Spiegel online fest, dass bei allen gesellschaftspolitischen Debatten über Frauen in Deutschland die über den alltäglichen Sexismus bislang fehlt und fordert auf: „Reden wir darüber.“ Ich sage allen, die verharmlosen wollen: „Hört erstmal zu. Dann reden wir.“ #aufschrei
Mehr zum Thema hat Bloggerin und phenomenelle Gastautorin Nele Tabler geschrieben.
Weitere Empfehlung von unserer Seite zum Thema ist der Artikel von Antje Schrupp „Wie Lappalien relevant werden“.