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phenomenelle des Tages: Gertrude Sandmann

Gertrude Sandmann (16.10.1893–6.1.1981)

Lange fast vergessen, erlebt die Künstlerin, die so eindrücklich Frauen porträtierte, seit kurzer Zeit eine Renaissance. Museen in mehreren Städten widmeten ihr Ausstellungen. Am Mittwoch, dem 16. Oktober 2013, weihten Freundinnen einen Gedenkstein für Gertrude Sandmann und ihre langjährige Lebensgefährtin Tamara Streck auf dem Schöneberger Friedhof ein. Im gleichen Jahr gehört sie zu den Berliner_innen, der während des Berliner Themenjahres 2013 Zerstörte Vielfalt gedacht wird.

Ein Kunststudium wird Sandmann zunächst verweigert. Die Akademien lassen zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch keine Frauen zu. Doch sie will zeichnen und lernt es an der Kunstschule des Vereins der Berliner Künstlerinnen. Käthe Kollwitz wird später eine ihrer Lehrerinnen. Sandmann entwickelt einen ganz eigenen Stil, der vielen Zeitgenoss_innen aber zu altmodisch erscheint. Das ganz Abstrakte ist ihre Sache nicht. Sie will Realität abbilden und das Wesentliche in einem Motiv erfassen. Ihr Modelle werden vor allem Frauen, bei Männern fehlt ihr der richtige Schwung, wie sie selbst sagt: „Noch nie habe ich einen guten männlichen Akt gezeichnet.“ Ihre Frauenporträts rücken nah an die Person heran, berühren sie und zeigen sie mit psychologischer Tiefe – ob mondäne Frau oder Emigrantin.

Ausgrenzung und Verfolgung

Sandmann tritt Mitte der 20er Jahre aus der jüdischen Gemeinde aus, weil sie sich als offen lesbisch lebende Frau nicht aufgenommen fühlt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird ihr Leben zunehmend eingeschränkt: 1934 Ausschluss aus dem Künstlerverband, 1935 folgt das endgültige Berufsverbot. Heimlich zeichnet sie weiter. Trotz Ausreisevisum kann sie sich nicht entschließen, ihr Land zu verlassen und ins Exil zu gehen. Sie pflegt ihr kranke Mutter. 1942 soll Sandmann deportiert werden. Sie schreibt einen Abschiedsbrief, um die Gestapo glauben zu machen, sie habe sich umgebracht. Dann taucht sie in den Untergrund ab und überlebt mit Hilfe ihrer Lebensgefährtin Hedwig Koslowski – versteckt.

Nach dem Ende des NS-Regimes kann sie wieder ausstellen. Sandmann erhält eine Rente als Verfolgte. Als in den 70er Jahren die Frauen- und Lesbenbewegung entstehen, ist die 80-Jährige dabei. Sie engagiert sich für autonome Frauenprojekte und gründet die Berliner Gruppe für ältere Lesben L 74 sowie den Verlag Coming Out mit.

Foto: Buchcover Gertrude Sandmann – Künstlerin und Frauenrechtlerin von Anna Havemann, Verlag Hentrich & Hentrich, 2011

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