Allgemein
Kongressbericht: 20 Jahre LAG Lesben in NRW
„Die Kraft des L – jetzt erst recht!“
Unter diesem Motto feierten am 24. September 2016 Lesben aus Nordrhein-Westfalen und aller Welt das zwanzigjährige Bestehen ihrer Interessensvertretung auf Landesebene. Und Kraft gab es beim international besetzten Kongress reichlich zu spüren.
Ein Meer aus grauen, schwarzen, blondierten, pinkfarbenen und kahlen Köpfen, aus raspelkurzen, krausen oder lang geglätteten, braven oder gewagten Frisuren wendet sich zum Podium. Dort heißt Daya Holzhauer vom Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW e.V. gerade rund 150 Frauen und eine Handvoll Männer willkommen. Zusammen wollen sie das stattliche Jubiläum der 1996 gegründeten Landesvertretung feiern. Eben noch hat emsiges Summen den Tagungssaal im Essener Ruhrturm gefüllt. Frau kennt sich, die Peer Group ist endlich wieder einmal vollzählig beisammen. Jetzt lauscht sie. Eine Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt für Gehörlose.
Viel bewirkt in NRW
„Wahnsinnig viel erreicht“ haben sie gemeinsam und „sind stolz darauf“, fasst Daya die allgemeine freudige Erregung zusammen. „Solange die LAG Lesben und Gabriele Bischoff dabei sind, ist mir um die Lesbenpolitik im Land nicht bange!“ Wie bei jeder Erwähnung dieses Namens folgt frenetischer Applaus für die „Geschäftsmamsell“. Denn ohne deren unermüdlichen Einsatz, so die einhellige Meinung, wäre es heute nicht so gut bestellt um die personelle Vernetzung der LAG-Gruppen, um die Community-Infos per Newsletter oder die Erfolge nach hartem Ringen mit Politiker_innen, etwa beim NRW-Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie. Geklatscht wird natürlich auch für die Kongress-Arbeitsgruppe, die das Event ein Jahr lang ehrenamtlich vorbereitet hat.
Die Frauen, die heute den verdienten Applaus großzügig spenden, kommen nicht nur aus den 45 Mitgliedsgruppen der LAG Lesben, auch aus anderen Ländern und Staaten. Transfrauen und ein Transmann sind dabei und viele alte Kämpferinnen aus feministischen Reihen. Ein paar Jugendleiterinnen aus dem Ruhrgebiet scheinen selbst kaum dem Teeniealter entwachsen. Und gut gelaunte Regenbogenkinder krabbeln zur extra bereitgestellten Babysitterin. Kinder, deren Eltern sich in Deutschland immer noch nicht Ehepaar nennen dürfen. Nein, man könne sich auf dem Erreichten keinesfalls ausruhen, mahnt Vorstandsfrau Eva Kulot, denn: „Emanzipation muss von jeder Generation aufs Neue erkämpft werden.“
Sobald der Bogen zur Gegenwart geschlagen ist, nennen fast alle als größte Herausforderung den Rechtsruck, der beunruhigend rasch die Mitte der Gesellschaft erfasst zu haben scheint. Ministerin Barbara Steffens vom Landesministerium MGEPA hat dem Kongress ein Grußwort vorangestellt: „Es gilt Flagge zu zeigen gegen rechtspopulistische Bewegungen, die mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegen Minderheiten zu Felde ziehen.“ So weit so klar.
Diskussionsstoff: Mangelnde Diversität
Internationale Lesbensolidarität
Welche Power die Frauen-Community freisetzen kann, zeigt sich noch einmal nach der Mittagspause. Die feministische Aktivistin Lepa Mlađenović berichtet auf Englisch von den serbischen Kriegsjahren, zeigt Fotos von den wenigen Lesbengruppen im ehemaligen Jugoslawien. Die Anne-Klein-Frauenpreisträgerin ist ebenso wie ihr Publikum sichtlich bewegt. Sie fühle sich geehrt, sagt sie, mit so vielen Lesben in einem Raum sein zu können. Im Gegensatz zu dem, was sie aus Serbien kennt. „Als der Krieg kam, war das Lesbische für uns auf einmal zweitrangig“, klärt sie. „Nur noch der Widerstand gegen den Krieg zählte.“
In Lepas anschließendem Workshop zur internationalen Lesbensolidarität zeigt sich, dass viele es zunehmend schwieriger finden, mit Frauenorganisationen weltweit solidarisch zu bleiben. Ablehnung und Widerstand gegen lesbische Frauen aus religiösem Missbrauch (auch christlich geprägtem) machen Helferinnen im Ausland immer öfter zu schaffen. Ebenso wie vielen Frauen, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Ihrer Unterstützung widmet sich Annalena Müller beim Erfahrungsaustausch zur ehrenamtlichen Arbeit mit Geflüchteten.
In Afrika wiederum geht es bei den Lesbengruppen vor Ort so fortschrittlich und flott zu, wie es sich manche hier in Deutschland wünschen würde. Drei Verbindungsfrauen zur Coalition of African Lesbians (CAL) erzählen, wie sie beispielsweise in Johannesburg gestaunt haben: konzentrierte, hoch technisierte Arbeit von früh bis spät, alle sind perfekt vernetzt, alle nutzen Skype. Solche Effizienz ist auch nötig in einem Umfeld, in dem selbst Menschenrechtsorganisationen so homophob sind, dass sie Lesbischsein als Virus statt als Recht betrachten. Dass die heftig beschränkten Ressourcen und ständige Lebensgefahr vieler afrikanischer Lesbengruppen zu schneller Erschöpfung aller Freiwilligen führen, verschwiegen die Referentinnen nicht. „Die fallen dann einfach wieder raus. Dagegen müssen wir etwas machen“, fordern sie.
Positives Fazit
Die größte Workshopgruppe dieses Nachmittags hat sich um die Kölner Kreativenberaterin Ursula Neumann versammelt. Hier geht es um den Umgang mit erfolgreichen und weniger erfolgreichen Projekten. In Zweiergesprächen erkunden die Frauen Strategien, um aus Misserfolgen zu lernen. An diesem Tag ist wirklich für jede etwas dabei. Und für jeden: „Es ist definitiv gut für mich hier“, erklärt der bärtige junge Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung mit sanfter Klarheit. „Ich war auch schon auf schwulen Kongressen. Hier ist eine schönere Atmosphäre. Alles ist viel harmonischer.“
Alles in allem ist der Kongress ein Gemeinschaftserlebnis, das sich deutschen Lesben sicher nicht oft eröffnet. Das lässt dann auch fast vergessen, dass die geplante abendliche Party einem schlichteren Empfang im Ruhrturm weichen musste, weil mit dem Essener Solid Club eine weitere Lesben-Location geschlossen hat.
Susanne Lück
Fotos: Daniela Zysk, Anke Vetter
Die Broschüre zum Kongress gibt es hier zum Download.
Sehr schön zusammengefasst Frau Lück. Immer wieder gerne. Es war eine sehr informative, interessante, spannende und bewegende Veranstaltung. Und wir können alle stolz darauf sein was in den ersten 20 Jahren und den kommenden 1000 Jahren sich noch so vieles bewegen und verändern lassen wird. Nicht aufhören, immer weiter machen aktiv oder mit spenden an die Organisationen. Es ist sehr wichtig!
Vielen Dank für die bisherigen Leistungen aller Organisationen im Inland und weltweit.