informelle
Warum queere Presse wichtig bleibt!
Rede zum Empfang für LSBTI-Organisationen
Seit mehreren Jahren lädt traditionell der oder die Vizepräsident_in des Landtags NRW LSBTI-Organisationen zu einem Frühjahrsempfang. Aktvistin_innen treffen dabei auf Politiker_innen und tauschen sich untereinander aus. Zu einem aktuellen Schwerpunktthema werden ein oder zwei Sprechende eingeladen, ein Grußwort zu halten.
am 4. März 2016 ging es um das Thema queere Medien und die Zunahme an Hasskommentaren im Netz. Neben dem Kollegen Dietrich Dettmann von FRESH, dem Queer-Mag für NRW, war ich eingeladen, einen Impuls zu setzen. Wir veröffentlichen das Grußwort hier in voller Länge, weil uns das Thema wichtig ist.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident Keymis,
sehr geehrte Frau Ministerin Steffens,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Gäste, liebe Freundinnen,
danke lieber Dietrich,
Als wir vor fast vier Jahren mit phenomenelle online gingen, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich heute vor Ihnen stehe und mit meinem lieben Kollegen Dietrich Dettmann von FRESH Grußworte beim Landtags-Empfang für LSBTI*-Organisationen sprechen würde. Vielen Dank dafür.
Gewisse Kreise sehen die queere Presse noch immer als Nischenmarkt für eine bestimmte Klientel. Wir Phenomenellen fühlen uns unserer Unterzeile „passt in keine Schublade“ verpflichtet. Beim Durchblättern der Mainstream-Presse scheint es so als seien Schwule und manchmal Lesben bei den großen Brüdern angekommen. Trans, Bi und Inter Menschen haben es deutlich schwerer.
Einige Zeitungen leisten sich heute sogar einen queeren Blog. Oft gut recherchiert und kenntnisreich lesen wir im Mainstream über die Situation von Schwulen in Südafrika oder vom neuesten Erfolg der #EheFürAlle-Aktivisten. Als ehrenamtliches Magazin kommen wir da in Aktualität und Tiefe schwer mit. Was wir immer noch lesen müssen, sind abwertende Begriffe und diffamierende Artikel über einen vermeintlichen „Schwulen-Kiez“, neu-journalistisch für „Schwulen-Milieu“.
Der besondere Blick auf queere Kultur
Was wir selten oder gar nicht lesen, sind Artikel oder Kritiken über Kultur, die von lesbischen, schwulen, geschweige denn trans*, bi oder inter Menschen handelt oder sich an sie richtet. Ein Beispiel aus unserer Anfangszeit zeigt, warum diese Kultur identitätsstiftend sein kann:
Zum phenomenellen Start im Juni 2012 veröffentlichten wir zwei Nachrufe auf die US-Schriftstellerin Sarah Dreher. Ich erinnere mich, wie erschreckt wir in der Redaktion waren, dass wir erst Monate nach ihrem Tod überhaupt davon erfahren hatten. Dabei gibt es lesbische Literatur vor und nach Dreher oder besser ihrer Protagonistin Stoner McTavish. Mit Stoner trat Anfang der 90er in einem Krimi erstmals eine Heldin auf, die „lesbisch und lustig“ war, nicht tot, irre oder mordlüstern. Der Humor und die positive Heldin prägte eine ganze Generation lesbischer Leserinnen. Auch heute noch erführen sie wohl in der Mainstream-Presse nichts über die Autorin. Wir Phenomenellen sehen uns damals wie heute als Chronistinnen und kritische Begleiterinnen queerer Geschichten und Geschichte mit lesbischem Fokus.
In phenomenellen Rezensionen dürfen Bücher empfehlenswert sein, ohne dass ihr Kanon rein lesbischer Figuren als zu einseitig befunden würde. Filme über Frauen dürfen gut gemacht sein, auch wenn die wenigen männlichen Protagonisten negativ dargestellt sind. Die anfänglich stiefmütterliche Reaktion des deutschen Feuilletons auf den US-Serienhit Orange is The New Black lässt sich nicht allein mit der späten deutschen Erstausstrahlung begründen. Lieber schreibt man Lobeshymnen auf brutale frauenverachtende Männer-Serien wie Sons of Anarchy. Das Maß der Worte in der Presse bleibt der weiße, meist heterosexuelle Mann.
Haltung gegen Hasskommentare
Früh, nämlich im Juni 2013 forderten wir gemeinsam mit anderen queeren Medienvertreter_innen im „Waldschlösschen-Appell wider die verharmlosende Diffamierung von Homosexuellen“, dass Mainstream-Medien nicht jedem homophoben Hetzer unwidersprochen eine Plattform bieten mögen.
Heute klagen Politik wie Medien über die Zunahme an Hasskommentaren. Ich gebe zu, auch mir machen sie Angst. Weiß ich doch um die Morddrohungen gegen diejenigen, die etwa in Dortmund über die rechte Szene berichten. Da scheint mir mein wöchentlicher Telefon-Stalker, der gern meiner Co-Gründerin und mir beim „Lesben-Sex“ zuschauen möchte, als ein kleineres Übel.
Ich bewundere die Kolleg_innen und die Moderatorin Dunja Hayali dafür, dass sie sich trotz Hass nicht einschüchtern lassen. Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen aktuellen Einschub: Auch Volker Beck ist nicht erst seit Gestern oder Vorgestern Adressat von Hasskommentaren gegen seine Person. Bislang hat er sie mit Verve zurückgespielt ganz dem Motto verpflichtet, dass die US-amerikanische Hit-Talkerin Elle DeGeneres geprägt hat „My Haters are my motivaters“. Ich wünsche ihm, dies möge ihm auch jetzt und in Zukunft gelingen.
Trotz allem klare Kante zeigen
Gern wird beim Thema Haltung in deutschen Medien das vermeintliche Objektivitäts-Dogma vom journalistischen Übervater Hajo Friedrichs zitiert:
Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.
Gern vertiefe ich gleich bei einem Getränk mit ihnen, dass das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen ist.
Dunja Hayali, die in Schulen unter anderem über Homophobie aufklärt, sagt dazu in einem aktuellen Interview:
Man kann sich für gute Dinge einsetzen – solange man es transparent macht.
Auch wir von phenomenelle werden nicht aufhören klare Kante zu zeigen und ich stimme Hayali zu, wenn sie konstatiert, Friedrichs würde dazu sagen:
Weitermachen!