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Weltaidstag: HIV und AIDS haben auch ein weibliches Gesicht
Ein Besuch im Frauen- und Familienzentrum der Aidshilfe Köln
HIV und AIDS haben ein Gesicht, es ist ein männliches. Für westliche Industrienationen mag das Bild treffend sein; in Deutschland sind 80 Prozent aller HIV-Positiven Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Der Begriff MSM umfasst Schwule und Bisexuelle ebenso wie alle, die zwar mit Männern sexuelle Beziehungen eingehen, sich aber weder als schwul noch bisexuell bezeichnen wollen oder können. Weltweit zeichnet sich ein anderes Bild ab. Von den 37 Millionen Infizierten sind mehr als die Hälfte weiblich. Aus Anlass des Weltaidstages besuchte phenomenelle daher das Frauen- und Familienzentrum (FFZ) der Aidshilfe Köln, formal und inhaltlich in seiner Art wohl einzigartig in Deutschland.
280 Frauen fanden allein im Jahr 2014 ihren Weg in die zweite Etage der Aidshilfe Köln. Während einige von ihnen mehrmals in der Woche ambulant betreut werden, kommen andere nur einmal im Jahr, um sich neue Informationen rund um das Virus und die Infektion abzuholen oder weil sie etwas über aktuelle Entwicklungen in den Medien aufgeschnappt haben und überprüfen wollen, z. B. über den Schutz, den eine erfolgreiche HIV-Therapie vor Ansteckung bieten kann. Wieder andere werden von ihrem Gynäkologen an das FFZ verwiesen. Dort arbeiten zwei hauptamtliche Sozialarbeiterinnen und viele Ehrenamtliche um ihre Belange. Wir trafen eine der beiden Hauptamtlichen, Sozialarbeiterin Birgit Körbel, die in diesem Jahr ihr 20-jähriges Dienstjubiläum im FFZ feierte, in ihrem Büro.
Kinder sind Alltag im FFZ
Auf den ersten Blick ein Büro wie jedes andere. Der Schreibtisch steht vor dem Fenster, die Unterlagen und der Kalender sind übersät mit Post-Its der NRW-Kampagne für HIV-positive Frauen XXElle. Birgit Körbel sortiert ihre Gedanken, Aufgaben und Merkpunkte über diese Zettel. In der Mitte des Raumes steht ein Besprechungstisch, eine Garderobe findet in der Ecke Platz. Anders ist vor allem die kleine Spielecke. Ein Tisch mit kleinen Stühlen, Spiele für Kinder unterschiedlichen Alters. Körbel sagt lachend: „Wenn eine Frau mit einem Kind in die Beratung kommt, dann ist das kein Problem. Manche haben aber drei oder vier Kinder. Dann ist der Lärmpegel entsprechend hoch auf der Etage und eine Beratung so nicht mehr möglich.“ Die beiden hauptamtlichen Mitarbeiterinnen teilen sich dann auf. Während die eine die Mutter berät, betreut die andere ihre Kinder.
An der Wand neben der Tür hängt eine große Pinnwand. Auf deren roter Samtstoff finden sich dicht an dicht gepinnt Urlaubspostkarten, Terminhinweise und Ankündigungen der Aidshilfe Köln, Artikel, Geburtsanzeigen von HIV-positiven Müttern, Dankschreiben, Kinderbilder und Fotos mit Erinnerungen an gemeinsame Unternehmungen und von verstorbenen Besucherinnen, alles in Allem ein Archiv der anderen Erinnerungen. Und passend zu Birgit Körbel, die herzlich, warm und pragmatisch über „ihre“ Frauen erzählt. Bei vielen Anekdoten lachen wir laut, Birgit liebt es, ihrer Arbeit und dem Thema mit konkreten Beispielen ein Gesicht zu geben.
Frauen erfahren spät von der Infektion
Bis heute ist es so, dass Frauen häufig erst spät von ihrer Infektion erfahren. Den Grund sehen Experten einerseits im noch immer männerzentrierten Gesundheitssystem und bei den Frauen selbst. Fühlen sie sich krank, denken sowohl sie selbst wie auch die Ärzte selten an HIV. Oft werden sie von Ärzten mit ihren Symptomen nicht ernst genommen und spielen sie selbst herunter. Bei manchen der Frauen ist AIDS bereits im fortgeschrittenen Stadium, wenn die Infektion erkannt wird. Körbel bedauert: „Leider erholen sich nicht alle davon. Wir dürfen nich vergessen, auch heute noch sterben Menschen an AIDS.“ Glücklicherweise ist es nicht bei allen zu spät, bei vielen verbessert sich der Gesundheitszustand wieder.
Im FFZ finden die Frauen Antworten auf ihre Fragen zur Infektion, werden betreut, wenn es nötig ist. Einmal pro Monat bietet der Frauentreff die Gelegenheit in informeller Runde zusammenzukommen. Natürlich sind Birgit Körbel und ihre Kollegin Doris Kamphausen Expertinnen rund um alle Fragen um HIV und AIDS, begleiten wenn nötig die Frauen auch zu Behörden. Wo sie nicht weiter helfen können, wissen sie genau, wer es kann. Das FFZ ist mit vielen Ärzten, Kliniken und allen wichtigen Institutionen in Köln vernetzt. „Vor allem geht es bei uns aber um Kontakt und Begegnung. Die Frauen, die zu uns kommen, haben einen starken Wunsch nach Austausch mit anderen Frauen, die auch positiv sind.“
Solidarisch und fürsorglich
Die Frauen tauschen sich untereinander aus über ihre Erfahrungen mit der Infektion, über Kindererziehung, über alle Themen, die sie betreffen. Oft finden sie in der Aidshilfe den einzigen Ort, an dem sie offen über ihre Ängste, ihre Sorgen und alle Dinge, die sie betreffen, reden können. In ihrem privaten Umfeld schweigen viele von ihnen nach wie vor über die Infektion. Aus Angst ausgegrenzt und diskriminiert zu werden. Körbel sagt: „Zu Recht. Viele Frauen machen übergriffige Erfahrungen. Kürzlich musste eine Klientin erleben wie sie in der Klinik von einem Arzt vor einer Nachbarin geoutet wurde, die mit ihr im Zweibettzimmer lag. Bei der Visite sprach er sie auf ihre HIV-Medikamente an.“ Immer wieder erzählen Frauen davon, dass sie von Ärzten erst als letzte behandelt werden oder keine Termine bekommen.
Begeistert ist Körbel von der Solidarität, die die Frauen untereinander entwickeln. Dabei treffen hier Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern, Kulturkreisen, sozialen Herkünften zusammen. Sie nehmen wahr, dass die andere anders ist, anders denkt, lassen das aber gegenseitig gelten. Auch die fünf lesbischen Frauen im Zentrum sind voll integriert. „Ich bin froh, dass ich hier reden kann und bin neugierig auf deine Geschichte“, fasst Körbel die Haltung der Frauen zusammen. „Besonders neue Frauen bekommen viel Platz für ihre Geschichte.“ Dazu kommt die Fürsorge füreinander, wenn eine öfter nicht kommt, erkundigen sich andere, wie es ihr geht. Wie wichtig eigene Räume für Frauen sind, zeigt auch eine aktuelle Aktion der Aidshilfe NRW „Frauenzimmer“. Sie fordert mehr Raum für die speziellen Bedürfnisse der Frauen. Körbel betont, dass viele Frauen Zeit und ein sicheres Umfeld brauchen, um über traumatische Erebnisse wie Gewalt zu berichten. Im Frauen- und Familienzentrum der Aidshilfe Köln finden sie ihn.
Weitere Infos zum Thema findet ihr hier:
Fotocredit:http://betablog.org/national-women-girls-hivaids-awareness-day-2013/