kulturelle
Chely Wright: Wish me away
Ein Countrystar wagt das Coming Out
I owned a gun…I thought, I can’t fight any more, I made a mess of my life…and I put the gun in my mouth.
Schockierend ehrliche Worte in einer berührenden Dokumentation über ein ganz besonderes Coming Out. Denn Chely Wright ist in den USA eine erfolgreiche Countrysängerin. Und die Country-Szene dort ist bekanntlich mehr als konservativ. Es wäre also ein bisschen so, als würde sich Schlagersängerin Helene Fischer morgen als Lesbe outen und erklären, dass das mit dem Flori Silbereisen alles nur gelogen war.
Spagat zwischen den Welten
„Wish me away“ zeigt eindrucksvoll, wie Chely Wright versuchte, einen Spagat zwischen zwei Welten – ja mehr noch: zwischen zwei Leben zu schaffen. Zwischen der umjubelten, scheinbar heterosexuellen Countrysängerin und der Frau Richelle Renee Wright, die Frauen liebt. Wright versucht mit nur einer Liebe, ihrer Musik, zu leben, bis sie es eines Tages nicht mehr aushält und kurz vor dem Suizid steht. Bewegend und authentisch erzählt sie von dieser Situation.
Der Glaube gibt Kraft
Vom Freitod abgehalten hat Chely ihr Glaube an Gott, der in der Dokumentation auch immer präsent ist, für einige sicher zu präsent. Trotzdem bewegt es, wenn Chely davon spricht, wie sie in jungen Jahren einen Deal mit Gott geschlossen hat, nachdem sie in der Kirche das Wort „Homosexualität“ in einem Satz zusammen mit Lügen, Stehlen und Betrügen gehört hat. Sie verspricht nichts zu tun, was Gott verärgert. Sie will solange nicht lieben, bis Gott „es“ von ihr weggenommen hat. Worte, die traurig aber auch wütend machen auf eine Gesellschaft, die ein junges Mädchen so denken lässt.
Wiedererkennungseffekt für jede
Die Dokumentation zeigt vorrangig Chelys Weg zum öffentlichen Coming Out. Und auch wenn das als „Star“ sicher noch mal besonders ist, so erinnert vieles doch irgendwo auch an das eigene Coming Out. Denn egal in welcher Art und Weise, es gibt wohl nur wenige Lesben, die nicht doch ein bisschen Angst davor hatten. Während wir Chely Wright in „Wish me away“ begleiten, kommen manche Fragen und Gedanken allzu bekannt vor: Ist das normal? Kann ich mich dagegen wehren? Wird sich das irgendwann ändern? Was wird meine Familie sagen? Meine Freunde? Was bedeutet das für meine Zukunft? Vor allem vor dieser Zukunft nach dem Coming Out hat Wright regelrecht Panik.
Film kann nicht ganz überzeugen
Doch obwohl der Film so viele Einblicke in private Gedanken gibt, fehlt irgendwo die ganz private Seite der Chely Wright. Nur in ein zwei Sätzen erwähnt sie ehemalige Partnerinnen. Was sie denen gegenüber empfunden hat, wie sehr diese Beziehungen durch ihr Doppelleben gelitten haben; all das bleibt weitestgehend offen. Dinge, die die lesbische Community einfach interessieren, wenn sie schon so viel von Mrs Wright erfährt. Und die noch eine viel größere Nähe zu der Frau auf dem Bildschirm schaffen würden. Stattdessen bekommen wir viele Statements von Wegbegleitern, Diakonen, Familienmitgliedern und Musikausschnitte präsentiert, auf die man teilweise hätte verzichten können. Sie ziehen die Dokumentation künstlich in die Länge und erzeugen Abstand. Nah sind wir Chely dann wieder, wenn sie über ihre veröffentliche Biografie und den Streit um ein Foto darin spricht. Das Foto zeigt sie in einem bauchfreien Oberteil in einer sehr femininen Pose. Ihre Lektorin wollte dieses Foto aus dem Buch streichen. In ihren Augen sei es symbolisch für Chelys Lebenslüge, indem es etwas zeigt, was sie nicht ist. Doch Chely entgegnet, sie ist genau das. Auf dem Foto ist 100% Chely, genau wie Chely 100% lesbisch ist.
Fazit
Auch wenn die Dokumentation ihre Schwächen hat, so weckt sie viel Gefühl – von Wut bis Freude – und zeigt, dass nur Ehrlichkeit wirklich glücklich macht.
Kleiner Wehrmutstropfen für alle, die den Film jetzt gern sehen würden. Sie müssen sich etwas gedulden, bislang hat Wish me away noch keinen deutschen Verleih gefunden.
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