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Coming Out gestern und heute – Generationen erzählen
Lesung und Diskussion in Münster
Im Rahmen der Hirschfeld-Tage 2014 luden die ARCUS-Stiftung, „Immer dabei“ und SchLAU NRW am 7. Mai ein zu einem spannenden Gespräch über Coming Out damals und heute. An die 80 Zuhörer_innen erlebten an diesem Abend die ganz persönlichen Erfahrungen von Lesben, Schwulen und Transsexuellen aller Generationen zu ihrer Zeit.
1969 hatte die sozial-liberale Koalition hatte den §175 reformiert, sodass zumindest „homosexuelle Handlungen“ zwischen erwachsenen Männern nicht mehr unter Strafe standen. Für den damals 21-jährigen Sigmar änderte sich aber erst einmal nichts, denn festgefahrene Einstellungen lassen sich schwerer verändern als Paragraphen. Von seinen Eltern etwa wurden Schwule weiterhin nur als „die 175er“ bezeichnet, und sein Vater verlangte im heimatlichen Bielefeld „Diskretion“ von ihm. Zudem wurde Homosexualität gesellschaftlich weiterhin meist totgeschwiegen. Als schwuler Mann litt Sigmar lange unter der Zerrissenheit zwischen dem eigenen Empfinden und der „Verinnerlichung der Norm“, die Frau und Kinder verlangte.
Die 70er Jahre bringen Veränderung
Dennoch veränderte sich bis zum Ende der 70er Jahre auch einiges. So war der Umzug nach Münster für die heute 55-jährige Rieke eine Befreiung. Zuhause erfuhr sie vor allem vom Vater Ablehnung, doch in Münster gab es damals schon ein Frauenzentrum, in dem sie viele Lesben traf. Die Szene bedeutete für die damals 19-Jährige, endlich unter Gleichgesinnten zu sein und ihre Identität als Lesbe zu entwickeln und zu leben.
Ein Sprung in die Gegenwart innerhalb der Gesprächsrunde zeigte dann, dass auch heute ein Coming Out nicht unbedingt leicht ist. Der 22-jährige Nils etwa wurde bei seinem Coming Out in der Schule übel beschimpft und erhielt auch von Lehrern alles andere als Unterstützung. Auch die 14-jährige Joelle und Jolene, 15, haben negative Erfahrungen vor allem in der Schule gemacht. Bei Joelle haben die Mitschüler erst gut reagiert, aber mittlerweile wird sie ignoriert und gemieden. Jolene wurde von ihrer ehemals besten Freundin in der Schule geoutet und bloßgestellt. Danach hatte sie es schwer, aber durch einen Umzug besucht sie inzwischen eine neue Schule, in der die Mitschüler sie akzeptieren.
Weiter Weg für Transsexuelle
Für Transsexuelle ist das Coming Out immer noch ein weiter Weg. Andrea, Mitte Dreißig, hatte dabei zwar gerade von Freunden viel Rückhalt, aber auch viel negative Erlebnisse, und vor allem Gewalt gegenüber Transsexuellen ist immer noch erschreckend verbreitet. Andrea erlebte dies in ihrer eigenen Straße, wo sie von einer Gruppe von Männern bedroht und beleidigt wurde. Andreas Arbeitgeber reagierte positiv und sie erfuhr Unterstützung und Akzeptanz. Aber viele Transsexuelle verlieren nach ihrem Coming Out ihren Arbeitsplatz und sind mit dem sozialen Abstieg konfrontiert.
Insgesamt war das Gespräch eine spannende Reise in die schwul-lesbische Geschichte mit der Erkenntnis, das auf dem Weg zur Akzeptanz auch heute noch einiges zu tun ist.
Fotos: © SchLAU NRW