kulturelle
Gedenkveranstaltung zum Theaterskandal 1936 in Essen
„Nahezu vollkommen getilgt“
Mit einer Gedenkveranstaltung und anschließender Stolpersteinverlegung im Rahmen der Hirschfeld-Tage 2014 erinnerte das Schauspiel Essen gemeinsam mit F.E.L.S. (Forum Essener Lesben und Schwule) am Donnerstag, dem 8. Mai, im und vor dem Grillo-Theater an die 1936 im Rahmen der NS-Aktion gegen Homosexuelle verfolgten Mitglieder der Essener Bühnen. Dabei wurde speziell Otto Zedlers gedacht, der damals als Schauspieler, Sänger und Regisseur am Grillo-Theater engagiert war und aufgrund seiner sexuellen Orientierung denunziert, verhaftet und verurteilt wurde.
Etwa 80 Besucher besuchten die Lesung unter dem Namen „Das sind Volks-und Staatsfeinde!“ der städtischen Bühne, bei der Intendant Christian Tombeil in seiner Begrüßung betonte:
Erinnern statt vergessen, aktiv handeln statt wegschauen – sind für mich ganz persönlich die Beweggründe gewesen, heute die Stolpersteine für denunzierte homosexuelle Theatermitglieder verlegen zu lassen, vor allem weil es dem NS-Regime damals fast gelungen wäre, die Ereignisse unter den Teppich zu kehren.
Die Erinnerung an homosexuelle Ensemblemitglieder seien: „…nahezu vollkommen getilgt , weil so wenig Material aus der damaligen Zeit vorhanden ist und die Namen aus de Archiven gelöscht wurden.“, so der Theaterleiter. Dies sei besonders bedauerlich, weil Otto Zedler über drei Jahre Schauspieler und Regisseur am Grillo-Theater war und so viele Produktionen inszeniert hätte.
Verhaftet, vernommen, weggesperrt
Nach einem geschichtlichem Abriss der Verfolgungsaktionen in Essen und des Theaterskandals von 1936 durch Historiker Wolfgang Berude vom Forum Essener Lesben und Schwule (F.E.L.S.), zitierten die aktuellen Ensemblemitglieder Jens Ochlast und Tobias Roth aus Gestapo-Vernehmungsprotokollen damals betroffener Schauspielkollegen. Auf Basis des von den Nationalsozialisten 1935 verschärften Paragrafen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, wurden 1936 schließlich über 50 Verhaftungen und Verurteilungen in die Wege geleitet, die unter anderem auch mit Einlieferungen in Konzentrationslager wie Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau endeten.
Betroffen war hierunter auch ein erheblicher Teil des damaligen Theaterensembles. Ein Skandal rollte los, der deutschlandweit bekannt wurde. Für homosexuelle Theatermitglieder eine furchtbare Situation: Die jederzeit möglichen Einlieferungen in Schutzhaft und die willkürlichen Verhaftungen nach einfachen Behauptungen Dritter waren jederzeit möglich. Sie führten zunächst zur gesellschaftlichen Ausgrenzung und zum Verlust der Arbeit und dem Ausschluss aus der Reichstheaterkammer. Der Willkür der Gerichte blieb es später anheim ob ob eine mehrjährige Haftstrafe, die Einweisung in ein KZ oder die Zwangskastration verhängt wurde.
Dies betraf auch Peter Roleff, Choreograf und Balletttänzer, und Paul Sträter, Bühnenbildner an den Essener Bühnen bis 1936, die sich in einem aufsehenerregenden Prozess gegenseitig mit Aussagen denunzierten, die unter Folter entstanden waren. Das tragische Schicksal dieser und weiterer Theatermitglieder soll in den nächsten Jahren noch genauer aufgearbeitet werden. Thomas Stempel, Sprecher des Forums, betonte in seiner Ansprache:
F.E.L.S. ist dieses Thema ein besonderes Anliegen und wir finden, dass es die Aufgabe dieser, unserer Generation ist, das damalige Unrecht aufzudecken. Mehr noch, es gilt das Unrecht auch anzuprangern und aufzuarbeiten und für zukünftige Generationen sichtbar zu machen.
Stolpersteine stellvertretend für alle Opfer
Der Stolperstein für Otto Zedler solle für viele andere denunzierte Mitarbeiter des damaligen Ensembles stehen und sei vielleicht ein Anfang für weitere Steine und Aktionen.
Im Anschluss verlegte dann der Künstler Gunter Demnig in Anwesenheit von Vertretern der Stadt Essen und der Community vor dem Grillo-Theater einen Stolperstein für Otto Zedler. Hinzu kam ein Stolperstein mit der Erklärung: „Wir erinnern an die Gestapo-Aktionen 1936-1938 gegen Homosexuelle Ensemble-Mitglieder denunziert, verhaftet, verurteilt, Schutzhaft, Zuchthaus, KZ-Einweisung, ermordet.“
Zum Thema Verfolgung und Geschichte der Essener Homosexuellen lud F.E.L.S. anschließend zu einen historischen Rundgang durch die Innenstadt mit Wolfgang Berude ein. Zum Abschluss des Veranstaltungsreigens, zog es die Gäste des Essener Aktionstages ins Kleine Theater Essen. Dort begann im Anschluss die Vorstellung „Der Schlachter-Tango“. Das Doku-Drama wurde von dem Schauspieler Michael Grunert gespielt und erzählt die Geschichte des Ludwig Meyer, der ebenfalls 1936 wegen Homosexualität von der Gestapo verhaftet wurde. Er wohnte in Ostwestfalen, dem Ruhrgebiet und Niedersachsen. Er überlebte das Nazi-Regime und nach dem Krieg musste er um die Anerkennung seiner Verfolgung als Jude kämpfen. In den 50er Jahren gelang es ihm, noch vor der Aufhebung des Paragraphen 175, am Rande der Legalität das erste Schwulenlokal in Hannover zu eröffnen. Im April 1975 wurde Ludwig Meyer erschlagen in seiner Hamburger Wohnung aufgefunden.
Keine „Stunde Null“ für Lesben und Schwule
Nach dem Ende der Nazi-Diktatur am 8. Mai 1945 wurde das Schicksal der Betroffenen und ihrer Angehörigen jahrzehntelang totgeschwiegen. Eine „Stunde Null“ hat es für Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, nicht gegeben. Die Jahre bis 1969 waren geprägt durch Kriminalisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung von Lesben und Schwulen, auch in der Stadt Essen. Der von den Nazis verschärfte § 175 StGB wurde erst 1969 novelliert und bestand fort, bis er nach der deutschen Vereinigung 1994 gestrichen wurde.
Weitere Infos unter www.fels-essen.de
Fotos: © Dietrich Dettmann