phenomenelle

kulturelle

LITFEST homochrom

Happy End?! – Contra

Sinha Melina Gierke in Happy End?!Lucca (Sinha Melina Gierke) ist eine wahre Überfliegerin. Eloquent, gebildet, gut situiert und das juristische Fachwissen quasi mit der Muttermilch aufgesogen, scheint der strebsamen Abiturientin ein vielversprechender Lebensweg bevor zu stehen: eine steile Anwaltskarriere in der Kanzlei ihres alleinerziehenden Vaters (Sascha Tschorn). Ein Kindheitstraum, den Lucca seit jeher mit ihrem liebevollen aber etwas überfürsorglichen Vater teilt. Doch obwohl Lucca sich selbst für diesen Lebensweg entschieden hat, will sich keine so rechte Zufriedenheit bei der angehenden Anwältin einstellen. Statt jugendlichem Übermut prägen traurige Gedichte und schicksalsergebene Lethargie Luccas Alltag. Erst ein – ausgerechnet – juristischer Fehler rüttelt Lucca aus ihrem Dornröschenschlaf. Durch ein Missverständnis wird die junge Frau zu Sozialstunden in einem Hospiz verurteilt und lernt dort ihr personifiziertes Gegenteil kennen: Valerie (Verena Wüstkamp). Die wilde und lebenslustige Frau rauscht durch die Welt als gäbe es keinen Morgen mehr: ungestüm, unkonventionell, mit vielen Frauen, vielen Partys und Haschkeksen für ihre todkranke Freundin Herma. Lucca ist gleichermaßen irritiert wie fasziniert von dem ungezügelten Leben der Sängerin und kann sich einer gewissen Anziehung nicht erwehren. Als Herma stirbt und sich Valerie auf den Weg macht, um Hermas letzten Willen zu verwirklichen, schließt sich Lucca spontan an. Ein Roadtrip, auf dem eine Urne entführt, ein habgieriger Sohn überlistet und sich schließlich seelisch und körperlich näher gekommen wird, beginnt. Doch dann müssen Lucca und Valerie in die Realität ihres bisherigen Lebens zurückkehren…..

Bei HAPPY END?! handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes um einen filmischen Rohdiamanten. Man erkennt deutlich seine inneren Werte und Ambitionen, denen es jedoch leider an einer adäquaten Form mangelt, um richtig zur Geltung zu kommen. Schade, denn die Ansätze von HAPPY END?! sind zwar nicht wirklich innovativ, jedoch durchaus vielversprechend.

Im Prinzip erzählt HAPPY END?! ganz klassisch die Geschichte einer persönlichen Reifung und greift dabei auf beliebte und immer wieder gut funktionierende Motive zurück: zwei grundverschiedene Menschen, die sich trotz oder gerade wegen all ihrer Unterschiede ergänzen wie Yin und Yang, treffen aufeinander und begeben sich auf Grund eines drastischen Ereignisses auf eine katharsische Reise, die sie zusammenwachsen und reifen lässt. Eigentlich eine Filmhandlung wie aus dem Lehrbuch, doch leider schafft es HAPPY END?! nicht, diese guten Ansätze zu einem runden, überzeugenden Film auszuarbeiten. Dies liegt zum einen an gravierenden logischen Lücken und Fehlern, die immer wieder das filmische Vergnügen stören. So brechen Valerie und Lucca etwa nach Holland auf, um Hermas Urne zu entführen. Warum Valerie vorher den Computer des Hospiz „hacken“ und das einzige vorhandene Testament der Verstorbenen löschen muss, bleibt (abgesehen von der Frage wie ein rechtskräftig unterschriebenes und notariell bestätigtes Testament nur auf dem Computer des Hospiz vorhanden sein kann) unklar. Auch die Bestattung der Urne in einem ein Meter tiefen Loch an dem Strand eines Sees wirft die berechtigte Frage auf, ob diese nicht bei dem nächsten Familienausflug unfreiwillig zum Vorschein kommen wird. Zwar sind diese Lücken sicher nicht geschichtstragend, sie durchlöchern in ihrer Vielzahl jedoch spürbar die Kohärenz des filmischen Universums und erschweren es dem Zuschauer erheblich, sich auf die fiktive Welt des Films einzulassen.

Leider kann auch die Figurenzeichnung diese dramaturgischen Mängel nicht wirklich ausgleichen.  Im Gegenteil – sämtliche Figuren bewegen sich in einem sozial und emotional so begrenzten Rahmen, dass sie erheblich an Glaubwürdigkeit einbüßen. Sowohl Valerie als auch Lucca oder ihr Vater verfügen lediglich über wenige, dafür jedoch umso stereotypere Charaktereigenschaften und sind zudem in einem quasi menschenleeren Raum, ohne wirkliche soziale Kontakte, angesiedelt. Hinzu kommen eine Vielzahl extrem konstruierte Dialoge, bei denen man einfach das Gefühl nicht los wird, dass ihr Zweck nicht der Kommunikation zwischen den Figuren sondern der konstanten Deklaration von Lebensweisheiten dient, um dem Film eine bedeutende Aussage zu verleihen. Die Dialoge nehmen dabei einen so großen Raum in der filmischen Handlung ein, dass sie den Figuren kaum Platz zur (charakterlichen) Entfaltung lassen, sondern sie stattdessen in ein enges Korsett aus beständigen Plattitüden über den Sinn des Lebens zwängen. Da sich HAPPY END?! bei diesen Absichtserklärungen zudem leider völlig auf das Mittel der Sprache beschränkt und den ganzen Facettenreichtum filmischer Ausdrucksweise total ausklammert, beraubt er sich eines Großteils seiner Wirkungskraft. So richtig will der Funke zwischen den beiden Frauen dann auch nicht überspringen und der Zuschauer hat erheblich damit zu kämpfen, eine passende Identifikationsfigur zu finden. Dies ist umso bedauerlicher, da die Schauspielerinnen nicht nur eine wunderbare Performance abliefern, sondern es auch immer wieder Lichtblicke lustiger und anrührender Szenen gibt, in denen das Wesen des Films ans Tageslicht bricht.

Insgesamt wirkt HAPPY END?! ein wenig so, als wäre eine gute Idee auf Biegen und Brechen in eine Geschichte umgesetzt worden, ohne eine passende Ausdrucksweise dafür zu finden. Tief innen drin schimmert jedoch immer wieder die Idee durch, die mit einem anderen Ansatz zu einem wirklich amüsanten Roadmovie hätte werden können. HAPPY END?! – ein wahrer Rohdiamant eben.

 

HappyEnd02Happy End?!

Deutschland 2014
Regie:  Petra Clever
Kamera: Karo
Vertrieb: Edition Salzgeber

Anne Bax fand den Film übrigens viel besser, Ihre Rezension heißt deshalb „Happy End?! – Pro“

 

Related Posts

2 thoughts on “Happy End?! – Contra”

  1. Pingback: Happy End?! - Pro

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige


Anzeige LITfest homochrom 06.–08.08.2021

visuelle

  • Fernsehinfos vom 12. bis 29. November 2024
  • Fernsehinfos vom 5. bis zum 18. Oktober 2024
  • Radiotipp: Die Linguistin Luise F. Pusch im Gespräch
  • Buchtipp: Daniela Schenk: Mein Herz ist wie das Meer
  • Buchtipp: Elke Weigel – „Wind der Freiheit“
  • Buchtipp: „Riss in der Zeit“ von Ahima Beerlage
  • Filmtipp zum 75. Geburtstag von Ilse Kokula
  • Ilka Bessin: Abgeschminkt – Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede
  • Interview und Verlosung zu 25 Jahre „Krug & Schadenberg“
  • Der Schottische Bankier von Surabaya: Ein Ava-Lee-Roman
  • CD-Review: LAING sind zurück mit neuem Album
  • Interview: „Diversity muss von der Führung kommen“
  • 5 Serien für Fans starker TV-Charaktere …
  • „Danke Gott, dass ich homo bin!“ – Filmreview von „Silvana“
  • Buchrezi: „Lesbisch. Eine Liebe mit Geschichte“
  • Rückblick auf die NorthLichter
  • DVD-Rezi: „Call My Agent“ – Staffel 2
  • Berlin: Etwas andere Pride Parade am 23. Juni 2018 …
  • Buchrezi: Carolin Hagebölling „Ein anderer Morgen“
  • Ausstellungseröffnung „Lesbisches Sehen“ im Schwulen Museum Berlin
  • „The Einstein of Sex“ – Stück über Magnus Hirschfeld
  • „Here come the aliens“ – Das neue Album von Kim Wilde
  • Album-Review: Lisa Stansfield „Deeper“
  • Theater X: Deutschlands vergessene Kolonialzeit