kulturelle
Hörenswert: Jodie Picoult: Ein Lied für meine Tochter
Jodie Picoult ist als mehrfache Bestsellerautorin (Beim Leben meiner Schwester u.a.) für ihre tiefgreifenden Romane bekannt, in denen sie schwierige Themen aus unterschiedlichen Perspektiven sensibel transparent macht. Dabei gelingt es ihr meist, die einzelnen Standpunkte wertfrei zu präsentieren und es obliegt der Leserin, Sympathien für die einzelnen Protagonisten (somit auch Standpunkten) selbst zu verteilen. Mit Ein Lied für meine Tochter wagt sie sich nun das erste Mal an das Thema Homosexualität. Da mir bisher fast alle Romane, die ich von ihr gelesen/gehört habe, gut gefallen haben, ging ich zugegebener Maßen mit erhöhten Erwartungen an das Hörbuch heran.
Der Inhalt
Zoe und Max versuchen seit geraumer Zeit ein Kind zu bekommen. Als nach mehrfachen Fehlgeburten eine Totgeburt in der 28. Schwangerschaftswoche folgt, zerbricht die Ehe zwischen den beiden, denn Zoe will trotz erhöhtem Risiko für ihre Gesundheit einen weiteren Versuch wagen. Ihr Mann hält dies aber nicht aus und verlässt sie. Max ist trockener Alkoholiker und findet nach einem Unfall unter Alkoholeinfluss Anschluss an eine radikale christliche Kirchengemeinde, der sein Bruder schon länger angehört. Zoe hingegen findet Trost in der neu gewonnenen Freundschaft zu Vanessa, von der sie als Musiktherapeutin für eine ihrer Schülerin engagiert wird. Schnell fühlen sich die beiden zueinander hin gezogen und aus einer Seelenverwandtschaft wird innige Liebe. Diese ist der radikalen christlichen Kirchengemeinde jedoch ein Dorn im Auge und als Zoe und Vanessa Max bitten, mit den drei verbliebenen befruchteten Eizellen aus der Ehe von Zoe und Max schwanger werden zu dürfen, eskaliert das Ganze und Max zieht vor Gericht, um die alleinigen Rechte an den eingefrorenen Embryonen zu gewinnen…
Das Auge der Betrachterin
Ich gestehe, nach dem ersten Hören war ich zunächst enttäuscht, dachte aber, dass dies an meinen hohen Erwartungen läge. Nach dem zweiten Hören wurde mir jedoch bewusst, dass ich den Roman als Lesbenroman bewertet hatte, Picoult aber mit Sicherheit keinen geschrieben hat.
Das lesbische Auge
Erwartet die Leserin einen klassischen Lesbenroman, so wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit enttäuscht. Ein Lied für meine Tochter erscheint zunächst oberflächlich und ist gespickt mit allen Klischees, die die Lesbenwelt sich nur vorstellen kann. Erstaunt war ich, dass das Coming Out an sich so gut wie kein Thema darstellte. Typische CO-Probleme werden zwar kurz erwähnt, aber schnell wird klar, dass der Fokus auf dem Diskurs zwischen „Lesbischen Eltern“ und den kontroversen Ansichten der (radikalen) Kirche liegt. Generell wirkt das ganze Szenario „typisch amerikanisch“, aber vielleicht sind das die tatsächlichen Probleme, denen sich Amerika stellen muss?! Manche dargestellten Sichtweisen der radikalen christlichen Gemeinde decken sich tatsächlich mit den Sprüchen, denen ich schon öfters auf der Facebookseite von Ellen DeGeneres begegnet bin. Unrealistisch ist der Roman also keinesfalls, auch wenn ich es etwas befremdlich finde, in welchem Zeitraffer die Beziehung zwischen Zoe und Vanessa vom ersten Kennenlernen, über Hochzeit bis hin zur geplanten Schwangerschaft abläuft – denn dies alles geschieht innerhalb weniger Monate und erinnert mich eher an einschlägige deutsche Internetcommunitys. Nichts desto trotz wird die Beziehung der beiden Frauen von der Heteroautorin sehr romantisch, gefühlvoll und als völlig normal dargestellt. Es wäre schön, wenn alle homosexuelle Paare so wertfrei betrachten würden.
Das nicht-lesbische Auge
Nachdem ich mich von den Erwartungen an ein Lesbenroman freigemacht hatte, konnte ich dem Hörbuch einiges mehr abgewinnen. Die möglichen Intensionen einer heterosexuellen Autorin betrachtend, die sich eines homosexuellen Themas annimmt, sind durchaus positiv. Die Beziehung zwischen den Frauen wird wertfrei und einer heterosexuellen Beziehung gleichwertig dargestellt. In der für die Autorin typischen Erzählweise erhält die Leserin einen Einblick in die Gefühlswelt eines Anhängers der radikalen christlichen Gemeinde, auch wenn mich das aus persönlichen Gründen nicht angesprochen hat. Davon ausgehend, dass Picoult den Roman eher für das mehrheitlich heterosexuelle Publikum geschrieben hat, könnte es ihr durchaus gelungen sein, das Anliegen gleicher Rechte für gleichgeschlechtliche Paare näher gebracht zu haben. Durch das nicht-lesbische Auge betrachtet, stellen die aufgereihten Klischees gegen Homosexualität eher ein Bewusstmachen der Absurdität dieser dar und machen im Gesamtkontext durchaus Sinn.
Mein Fazit
Ich persönlich mag den psychologischen Touch in Picoults Romanen. Sie versteht es, der Leserin verschiedene Sichtweisen und Gefühle der beteiligten Personen näher zu bringen, sodass man heikle Themen neu betrachtet und den ursprünglichen eigenen Standpunkt erweitert oder sogar ändert. Ein Lied für meine Tochter hat mir jedoch keinerlei neue Erkenntnisse gebracht. Vielleicht liegt es daran, dass ich für mich absolut keinen Spielraum für (radikale) christliche Ansichten einräume und viel zu sehr Lesbe bin, um mich mit den Inhalten zu identifizieren. Dennoch bereue ich keinesfalls, das Hörbuch gehört zu haben und sehe im Kampf der Akzeptanz und der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen durchaus die positive Intension der Autorin. Die Kommentare von Käuferinnen des Romans betrachtend, hat sie dieses Ziel auf jeden Fall erreicht. Spannend finde ich auch, dass Jodie Picoult normaler Weise auch das Ende ihrer Romane wertfrei gestaltet und die Problematik eher durch Zufälle auflöst oder es der Leserin überlässt, sich auf eine Seite zu schlagen. In diesem Bestseller kommt es mir jedoch so vor, als hätte sie mit dem Ende ein, wenn auch subtiles aber dennoch, deutliches Statement zum Thema gleichgeschlechtliche Eltern/Liebe abgegeben. Der Roman birgt auf jeden Fall genügend Stoff, um kontrovers diskutiert zu werden. Ich freue mich auf die Meinungen derer, die ihn bereits gelesen/gehört haben.
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