kulturelle
L(i)ebe die Vielfalt: Auftaktsymposium der Hirschfeld-Tage 2014
„Geschichte schreiben heißt vielfach: sie selbst schreiben müssen“
Vom Sonnenglanz beschienen: Die offizielle Auftaktveranstaltung der Hirschfeld-Tage „L(i)ebe die Vielfalt“ am 6. April 2014 in Bochum stand im Zeichen frühsommerlicher Strahlkraft. Weit ins Land hinein strahlen sollen sie denn auch quer durch ganz Nordrhein-Westfalen: die über 90 Veranstaltungen, die in den Monaten April und Mai an 16 Orten stattfinden werden. Veranstalter ist die bundesweite Magnus Hirschfeld Stiftung.
Im Foyer des Jahrhunderthauses in Bochum stärkten sich die geladenen Honoratioren und die rund 80 Besucherinnen und Besucher am heißen Kaffee, um sich dann auf ein intensives vierstündiges Symposium mit Reden, Fachvorträgen und einer abschließenden Podiumsdiskussion einzulassen – während Freizeit-NRW zur ersten Fahrradtour ins Grüne aufbrach. Wer da war, musste es nicht bereuen: Spannend-aktuell die Grußworte, inhaltlich anregend und anspruchsvoll die Fachvorträge und nachdenklich-schön der Erinnerungsakt. Auf dem Podium, das Gedenken lesend, Klaus Nierhoff, neben Bettina Böttinger Botschafter der ARCUS-Stiftung, die Kooperationspartner der HIrschfeld-Tage 2014 ist und die über diese sowohl in der Communitiy selbst als auch darüber hinaus ihren Bekanntheitsgrad erweitern will.
Bogen von historischer Repression in die Gegenwart
Die Hirschfeld-Tage nach NRW zu verorten, dies lobten nicht nur die Veranstalter Gabriele Bischoff (ARCUS Stiftung) und Jörg Litwinschuh (Magnus Hirschfeld Stiftung). Einen Bogen schlagen von der historischen gesellschaftlichen bis hin zu staatlicher Repression und deren Auswirkung in die Gegenwart, so das Versprechen. Ulrich Kelber, Staatssekretär des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, erinnerte in seinem Grußwort an den Dreiklang von Erinnern, Thematisieren und Aufklären, dem sich die Magnus Hirschfeld Stiftung zurecht verpflichte. Den hohen Bekanntheitsgrad verdanke die zweieinhalb Jahre alte Stiftung ihrer „hervorragenden Erinnerungskultur“ und ihren vielfältigen Projekten, die ihre Aufklärungsarbeit einem breiten Publikum zugänglich mache.
Kelber, SPD-Abgeordneter aus Bonn, war es aber auch, der direkt den Bogen in die politische Gegenwart schlug. Das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 sei ein Beispiel dafür, wie Staat gesellschaftliche Normen mit verändern könne, so denn Gesellschaft dafür bereit sei. Doch die konservative Elite fühle sich offenbar von soviel Liberalität bedroht. Damit interpretierte er eine aktuelle Meldung im Magazin Der Spiegel, in der CDU-Fraktionschef Volker Kauder die genauere Überwachung seiner Partei bei der Auswahl der Kandidaten für die Richterposten des höchsten Gerichts ankündigt. Die Unionsabgeordneten beklagen, dass Karlsruhe
eine Liberalisierung der Gesellschaft mit seinen Urteilen vorantreibt und dabei Zuständigkeiten überschreitet.
Erreichte Normalität ist brüchig
Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in NRW, wurde noch deutlicher. Meldungen wie diese zeigten eher, wie brüchig die jetzt erreichte Normalität sei. Sie forderte die Enttarnung gegenwärtiger Diskriminierung wie zur Zeit bei der Debatte um Inhalte im Sexualunterricht in Baden-Württemberg. Das sei ein eklatanter öffentlicher Rollback und offenbare den „Irrsinn öffentlicher Meinung“. Warum, so Steffens, käme das gerade jetzt? Es zeige doch nur die Angst vieler Menschen vor der Öffnung der Ehe und der tatsächlichen Gleichstellung von Homo- und Heteropaaren als auch die Angst vor der Reflexion über die eigenen Rollenbilder. Die Hirschfeld-Tage sollten dieser Welt etwas entgegensetzen.
Erinnern an lesbische und schwule Geschichte
Hirschfeld, das heißt sich erinnern. Und sich, so die freie Historikerin Kirsten Plötz in ihrem Vortrag, die eigene Geschichte eben auch manchmal selbst zu schreiben mangels historischer Beweise. Die lesbische Bewegung der Trümmerfrauen jedenfalls, das war ihrem Vortrag zu entnehmen, fand dermaßen im Stillen statt, das sie kaum bezeugt ist. Trümmerfrauen ja, die gab es reichlich. Auch Alleinerziehende. Doch das durchaus existierende Arrangement zweier Frauen gab es nach ihren Recherchen nur zum Preis des Schweigens und getarnt als „Freundschaft“. Viele Lesben dieser Zeit heirateten später wieder, denn sie kamen ja gesellschaftlich als Ernährerinnen nicht vor. Manche wurden nach diesem Zugeständnis einer Ehe „Lesbe auf dem zweiten Bildungsweg“.
99 Prozent der von den Nazis wegen Homosexualität Verfolgten hätten ihre Geschichte noch nicht erzählt, sagt in seinem Vortrag Andreas Pretzel und sieht da Nachholbedarf. Den leistete dieser Tag mit seiner Erinnerungsstunde, in der an die mutigen Leben des Richters Botho Laserstein (1901 bis 1955) erinnert wurde, der das sexuelle Strafrecht entkriminalisieren wollte und dafür verfemt wurde, sowie der Sozialarbeiterin Getraut Müller (1942-1999), die sich mit ihrer Lebensweise mutig in die Öffentlichkeit gewagt hatte.
Fotos: © Susanne Hillens
Gastautorin Susanne Hillens ist TV-Journalistin und Autorin in Köln