informelle
Maria Braig: Amra und Amir – Abschiebung in eine unbekannte Heimat
Maria Braig: Amra und Amir – Abschiebung in eine unbekannte Heimat (Verlag 3.0)
Amra wurde als Tochter albanischer Eltern aus dem Kosovo in einer norddeutschen Kleinstadt geboren. Bis zu ihrem 18. Geburtstag, mit dem das Buch beginnt, ist ihr Aufenthaltsstatus über ihre Mutter abgesichert, die kriegstraumatisiert ist und sich in psychologischer Behandlung befindet. Ihr Vater ist früh gestorben. Trotz dieser nicht einfachen Lebensumstände hat sie ihren Weg gemacht und wäre nicht auf die Idee gekommen, dass ihr mit dem 18. Geburtstag die Abschiebung in den Kosovo droht, den die Behörden als ihr Heimatland ansehen, in dem sie aber nie gewesen ist. Schon kurz darauf wird sie abgeschoben, noch bevor ihr Freundeskreis die Pläne umsetzen kann sie in Sicherheit zu bringen. Hinter ihr steht vor allem ihre Freundin Nina, mit der sie eine langjährige sehr emotionale Freundschaft verbindet und gerade vor der Frage steht, ob da mehr laufen könnte. Auch ihr bester Freud Stefan ist ein enger Vertrauter und wird viel Positives beitragen, um sie wirkungsvoll zu unterstützen. Seit ihrem 16. Lebensjahr absolviert Amra eine erfolgreiche Ausbildung zur Kraftfahrzeugmechatronikerin. Dies ist ein Baustein ihrer nach klassischem Rollenverständnis oft eher männlich geprägten Lebensstils, mit dem sie aber bisher kaum angeeckt ist.
Sie landet bei einem Onkel im Kosovo, der sie nicht kennt und der insbesondere mit ihrer unklaren Geschlechtsidentität und ihrem untypischen Frauenbild überfordert ist. Schließlich läuft sie weg, lebt fortan als Amir in katastrophalen Verhältnissen auf der Müllhalde und auf dem Abstellplatz eines Autohändlers, dem sie gelegentlich beim Schrauben hilft, und ernährt sich von Essensresten. Im Sommer beschließen Stefan und Nina sie zu besuchen. Sie sind über ihren bzw. nun seinen Zustand erschrocken, akzeptieren aber sofort seine neue Identität als Amir. Gemeinsam verbringen sie traumhafte Tage am Mittelmeer und Nina und Amir kommen sich auch auf romantischer Ebene näher. Dennoch müssen sie Amir in Priština zurücklassen. Den Winter verbringt er bei einer Burrnesha, einer als Mann und in der männlichen Geschlechterrolle lebenden albanischen Frau, auf dem Lande. In den Osterferien realisieren Stefan und Nina ihren Plan, um Amir zurückzuholen. Die Reise verläuft ohne Komplikationen. In Berlin wird Amra/Amir, die_der sich nun Amal nennt, schließlich bewusst, dass er_sie sich nicht zwischen Mann und Frau entscheiden will und sich nicht als transsexuell empfindet. Auch dort ist das Leben ohne Papiere nicht einfach…
Hier und da wirken die Handlung und die Personen etwas konstruiert. Sehr emotionale Stellen wie die erste intensive körperliche Begegnung zwischen Nina und Amir oder das Outing gegenüber der Mutter werden geradezu übergangen. Dennoch gelingt die Verbindung der beiden großen Themen Abschiebung und Geschlechteridentität weitgehend. Einige Kapitel sind aus der Perspektive einzelner Protagonist_innen geschrieben. Wenn dieser Perspektivwechsel manchmal auch holzschnittartig oder klischeehaft wirkt, so hilft er doch die interkulturellen Aspekte und vor allem die vielfältigen Aspekte der Geschlechtsidentität herauszuarbeiten. Sehr klar und eindrücklich geschildert wird die Ungerechtigkeit des deutschen Einwanderungsrechts vor allem für hier aufgewachsene junge Menschen.
Ansgar Drücker
Link zum Verlag: https://buch-ist-mehr.de/buecher/amra-und-amir