kulturelle
„queer.macht.politik“ – Rezension
Linke wollen lieber Recht haben als Wirkung zu erzielen, so ein gängiges (Vor-)Urteil über gute linke Analysen mit wenig politisch-gesellschaftlicher Alltagsrelevanz über den Kreis derer hinaus, deren Weltbild aus einer Hierarchie von Haupt- und Nebenwidersprüchen besteht und die alle Themen in die vorhandene ideologische Schablone pressen. Wer mit dieser Erwartung an den brandaktuellen Sammelband, der pünktlich zur Bundestagswahl erscheint, herangeht, wird nicht enttäuscht und zusätzlich noch beglückt. Denn bei allem Verharren der fast ausnahmslos von Mitgliedern der Partei Die Linke verfassten Texte im erwarteten Bereich gibt es doch Undogmatisches und Erfrischendes zu lesen. Und überdies: Eine Alternative zum schwulenpolitisch grün-angepasst-bürgerrechtlichen Mainstream wird immer gerne genommen und sei es nur als Provokation.
Der von der Rosa Luxemburg Stiftung geförderte Sammelband öffnet mit einem Vorwort von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften in den Kontext der universellen Menschenrechte rückt. Er versucht sich an einer queerpolitischen Bestandsaufnahme, bei der häufig die parteipolitische Brille stark Oberhand gewinnt, die aber dennoch eine kritisch-konstruktive Perspektive auf die aktuelle Politik im Themenfeld Queer bietet.
Klaus Lederer und Carsten Schatz bekommen gerade noch die argumentative Kurve, warum die CDU doch nicht vom diesjährigen Berliner CSD auszuschließen gewesen sei, auch wenn dieser eigentlich nach typisch linksberliner Lesart natürlich der guten, also linken Hälfte der Schwulen gehört. Nach der Auseinandersetzung um die Anmeldung von Pro Köln zum Kölner CSD bekommt dieser – dennoch gut argumentierende – Artikel eine noch größere Aktualität.
Monika von der Lippe zeichnet nach, warum das Thema Regenbogenfamilien erst jetzt, dafür aber umso heftiger, in den Vordergrund der politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzung drängt, und widmet sich auch der in der Diskussion zum Ausdruck kommenden Benachteiligung und Herabsetzung von Kindern aus Regenbogenfamilien, die bisher kaum in den Fokus gerückt ist.
Jan Korte und Klaus Lederer arbeiten die Gemeinsamkeiten zwischen immer noch nicht rehabilitierten „Kriegsverrätern“ und Homosexuellen im Nationalsozialismus heraus – zwei Gruppen, die weiterhin darauf warten, dass ihre damaligen (vermeintlichen) Handlungen, die auch in der Nachkriegszeit juristisch als Unrecht angesehen wurden und damit nicht als spezifisch nationalsozialistisches Unrecht eingeordnet wurden, noch zu ihren Lebzeiten aus der Welt geschafft werden.
Michael Bochow erläutert in „Dreißig Jahre Aidshilfen“ eindrücklich den Anteil der „beiden mächtigsten ‚modernen’ akademischen Professionen – Juristen und Mediziner“ an „der gesellschaftlichen Durchsetzung der Stigmatisierung, Pathologisierung und Kriminalisierung von Homosexuellen“ und beschreibt das daraus resultierende Misstrauen der Schwulen beim Aufkommen von Aids gegenüber staatlichen Aktivitäten auf diesem Gebiet.
Hakan Tas und Bodo Niendel sorgen – im Sinne von Intersektionalität – dafür, dass der parallele, aber selten gemeinsame Kampf der Migranten sowie der Schwulen und Lesben nicht, wie so oft, gegeneinander diskutiert, sondern mit dem gemeinsamen Ziel der Gleichstellung nebeneinander gestellt wird. Sie arbeiten die Mehrfachdiskriminierung beispielsweise von schwulen Migranten heraus und setzen dem Vorurteil, dass junge Männer mit Migrationshintergrund schwulenfeindlicher seien, die Erkenntnis entgegen, dass hier Bildung und nicht ethnische Herkunft der entscheidende Einflussfaktor ist.
Anna Rinne ordnet die Slutwalks als queere Praxis und damit in queere Politik ein. Mit Nico Schulte kommt auch ein junger Schwuler auf erfrischende Art und Weise zu Wort.
Klaus Lederer sieht die Durchsetzung der Homo-Ehe als richtigen, aber notwendig konservativen Schritt: „Wer zum neoliberal regulierten Kapitalismus schweigt, soll über die „Homo-Ehe“ nicht reden.“ Da ist er also wieder, der alte Glaube, der Schwule an sich müsse links sein und denken. Es bleiben denn auf die selbstgestellte Frage „Was kommt nach der Homo-Ehe?“ für ihn auch eher die Themen der allgemeinen linken Herrschafts- und Gesellschaftskritik auf der queeren Agenda: Eine umfassende Neubewertung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, gleiche gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten für alle Menschen und eine Veränderung der Macht- und Herrschaftsstrukturen – das alles ist aber noch nicht notwendigerweise queer und die anschließende Konkretisierung bietet beispielsweise dem schwulen Normalo oder der lesbischen Normala nicht allzu viel, sondern buchstabiert im Wesentlichen die kleiner werdenden immer noch nicht homopolitisch erretteten Minderheiten durch. Letzteres ist im Detail ebenso verdienstvoll wie es im Ganzen wieder ins linke Weltbild passt: Wenn Minderheiten plötzlich zum Mainstream zu gehören drohen, müssen neue Opfergruppen her. Ebenso gut hätte man sich auf die politisch noch völlig unzureichend bearbeitete und weit verbreitete Homophobie in der Schule, auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Sport, in der Musik oder im Internet stürzen können.
Bodo Niendel beschreibt queere Politik als „ein außerparlamentarisches Gewerbe“. Nancy Wagenknecht sieht voraus, dass in zehn Jahren „queer“ ein etablierter Beitrag zur politischen Bildung sein kann – nicht nur für Schwule, Lesben und Trans*, sondern als sehr grundsätzliche Auseinandersetzung mit der normativen Heterosexualität und dem Aufzeigen neuer Handlungsmöglichkeiten und „ganz anderen, plötzlich denkbaren Lebenspraxen“, die ihr bisher zum Opfer fallen. Ob es allerdings – bei aller Faszination des gezeichneten Bildes – immer nur die große Lösung, also die – mal eben – Abschaffung der Heteronormativität sein kann oder ob auch für das Hier und Jetzt, wo linke und queere Utopien noch nicht realisiert sind, pädagogische Praxen entwickelt werden müssten, bliebe zu diskutieren. Dennoch zeichnet sie überzeugend Anforderungen an und Orte für eine politische Bildung zu queer auf und beschreibt, was politische Bildung in diesem Kontext bewirken könnte.
Schließlich erläutert Carsten Schatz – und das ist wirklich brandaktuell – seine kritische Position zur Verleihung der Kompassnadel des Schwulen Netzwerks NRW an die Redaktion von Spiegel und Spiegel Online im Juli 2013.
Da haben vor allem linke Schwule und ein paar weniger Lesben und Heter@s just in time ein hochaktuelles und sehr lesenswertes Buch geschrieben, dass manche Entwicklung im Bundestag zu sehr aus der Sicht der eigenen Fraktion und manche gesellschaftliche Analyse eher für die selbstgewählte Nische beschreibt, aber ausreichend Anregungen für queere Politik nach der Homo-Ehe liefert, damit sich die Schwulen und Lesben jetzt nicht bequem in der bald erreichten formalen Gleichstellung einrichten.
Dass der Sammelband mit Jan Feddersen schließt, scheint die undogmatische Pointe zu sein, denn besonders links ist seine Haltung nicht, wohl aber Teile dessen, was er als schwule Geschichte der letzten Jahrzehnte beschreibt.
Ansgar Drücker
Barbara Höll, Klaus Lederer, Bodo Niendel (Hrsg): queer.macht.politik. Schauplätze gesellschaftlicher Veränderung
Männerschwarm Verlag
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