kulturelle
SING! INGE, SING! Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg
Wer Inge Brandenburg zum ersten Mal singen hört, mag nicht glauben, dass diese Sängerin, die von Insidern als *die* Jazzsängerin Nummer Eins in Deutschland bezeichnet wird, in Vergessenheit geriet. Denn ihre Wahnsinnsinterpretationen von Jazz-Standards erinnern sofort an Größen wie Billie Holiday, June Christie oder Peggy Lee. Tatsächlich verglich man ihre Ausdrucksstärke mit der von Billie Holiday, während Caterina Valente als so etwas wie die deutsche Ella Fitzgerald galt. Aber Inge Brandenburg war zu sperrig, zu unkonventionell und zu eigensinnig, wollte sich von der Plattenindustrie nicht auf die kommerziell erfolgversprechendere Schlagerschiene setzten lassen und fiel vom JazzOlymp ins Nichts.
Wie so oft, verhalf der Zufall zu ihrer Wiederentdeckung: Sammler Thomas Rautenberg entdeckte auf einem Flohmarkt ein altes Fotoalbum mit Bildern einer attraktiven Frau, die ihm völlig unbekannt war. Beim Durchblättern fand er Autogrammkarten, die die Unbekannte als Inge Brandenburg (1929–1999) identifizierten. Neugierig geworden, suchte er weiter, erstand Tonbänder, Kleider und andere Erinnerungsstücke; was man so macht als Sammler.
Gemeinsam mit Filmemacher Marc Boettcher recherchierte er vier Jahre lang und fand zahlreiche Film- und Tondokumente, die zusammen mit Interviews von Zeitzeugen wie Klaus Doldinger, Joy Fleming, Joana oder Charlie Antolini ein überaus spannendes Portrait der Sängerin ergeben. Glücklicherweise existieren auch zwei Interviewdokumente von Inge Brandenburg, die geschickt eingestreut werden.
So erfahren wir von Inge Brandenburg selbst, unter welch schwierigen Verhältnissen sie aufwuchs: ihre Kindheit in Leipzig war geprägt von Gewalt, Alkohol und Armut, beide Eltern wurden im Konzentrationslager ermordet, Inge und ihre vier Geschwister in verschiedene Heime für Schwererziehbare abgeschoben. Nach Kriegsende gelang ihr die Flucht in den amerikanischen Sektor, sie wurde von GIs vergewaltigt, landete wieder in einem Heim, fand aber einen Job in einer Bäckerei, wo ihre Liebe zur Musik tatsächlich gefördert wurde. Sie konnte zum ersten Mal Klavierunterricht nehmen – und vor allen Dingen AFN, den amerikanischen Militärsender hören. Sie saugte die Jazztitel förmlich auf und kopierte die Songs ohne jegliche Englischkenntnisse fast perfekt, bis sie ihre eigenen Interpretationen versuchte. Erste Auftritte in Bars liefen gut, aber mit Jazz war im Nachkriegsdeutschland nicht viel zu verdienen. Nach einer erfolgreichen Tournee durch Schweden gelang ihr 1958 beim Jazzfest in Frankfurt auch hierzulande der Durchbruch, es folgten bis Ende der 60erJahre Auftritte mit den damals angesagten Jazzgrößen wie Mangelsdorff, Doldinger, Greger.
Es hätte perfekt werden können mit einem passenden Plattenvertrag, aber die damalige westdeutsche Musikindustrie hielt nicht viel vom Jazz. Ihre Plattenfirma machte genau ein Jazzalbum („It’s allright with me“) mit Inge Brandenburg, wollte sie aber grundsätzlich als nette Schlagersängerin vermarkten. Aber Inge Brandenburg ließ sich nicht als „Tanzmusikmaus“ verheizen, kündigte frustriert, versuchte sich als Schauspielerin und Jazzsängerin über Wasser zu halten. Doch die Zeit der brummenden Jazzklubs war vorbei, und Inge Brandenburgs Alkoholprobleme sorgten schließlich dafür, dass sich auch die letzte Tür zur verbliebenen Jazzszene verschloss. Inge Brandenburg „versackte“ und lebte schließlich von Sozialhilfe. Sie starb 1999, an ihrem Armenbegräbnis nahmen gerade mal sieben Menschen teil.
Marc Boettchers preisgekrönter Film über Inge Brandenburg kommt trotz der vielen nett aufbereiteten Zeitzeugenschnipsel glücklicherweise nicht so glatt daher wie eine Guido-Knopp-Geschichtsstunde, sondern lässt der Portraitierten den (vor allen Dingen akustisch) größten Raum. Und das macht den Film so spannend, denn sobald Inge Brandenburg singt, wird’s magisch.
Reinhören im Netz:
http://www.youtube.com/watch?v=h7U3FZgz-64
http://www.youtube.com/watch?v=6sHhFr3K1h8
DVD-Infos:
SING! INGE, SING!
Der zerbrochene Traum der Inge Brandenburg
ein Film von Marc Boettcher
Deutschland 2011, 118 Minuten, DF
DVD bei Salzgeber erschienen