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Theater X: Deutschlands vergessene Kolonialzeit
Michaela Maxi Schulz in „Nothing about us without us – Remains. Eine Rede”
Ein politisches Theaterstück wirft einen kritischen Blick auf vergessene deutsche Geschichte und die Farce von Worten. phenomenelle-Autorin Larissa besuchte „Nothing about us without us – Remains. Eine Rede”, in Berlin.
Wer an die Kolonialzeit in afrikanischen Ländern denkt, dem fallen meist wohl eher andere Länder und ihre Geschichte der Unterdrückung und Ausbeutung ein. Im Schulunterricht wird über die deutsche Geschichte der Kolonialzeit jedenfalls wenig bis nichts erwähnt. Umso erkenntnisreicher ist das Theaterstück „Nothing about us without us – Remains. Eine Rede“, entstanden aus einer Kooperation von Afrotak TV Cybernomads und anne&ich.
Deutsche Geschichte und der Sinn politischer Reden
Die Aufführung ist als Monolog ausgelegt, mit anschließender Diskussion und kleiner Ausstellung, derzeit am Jugendtheater „Theater X“ in Berlin zu sehen. Michaela Maxi Schulz spielt darin Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, und ihre Rede im Rahmen einer feierlichen Zeremonie an der Charité Berlin 2011 nach. Anlass war die Rückgabe von 20 Schädeln an die angereiste namibische Delegation. Diese menschlichen Überreste wurden vor rund 100 Jahren zu „wissenschaftlichen Zwecken“ nach Deutschland geschafft. Es sind die Überreste von Menschen der Herero und Nama, den Ur-Einwohner*innen Namibias. Im Zuge der deutschen Kolonialherrschaft dort, wurden 80% der Herero und 50% der Nama getötet, die meisten bei Aufständen gegen die weißen Machthaber, und in Konzentrationslagern gefangen gehalten. Dies erfahren die Zuschauer*innen allerdings nicht in der Rede von Pieper selbst. Die bleibt fast unerhört distanziert und unverbindlich. Kleine Einspieler und Einblendungen erzählen davon. Das Stück macht sich damit Brechts Verfremdungseffekt auf transkultureller Ebene zunutze.
Bis heute erkennt Deutschland den Völkermord nicht an. So störten einige Anwesende die tatsächliche Übergabe mit lautstarken Rufen nach Entschuldigung und Wiedergutmachung. Die Schauspielerin Michaela Maxi Schulz persifliert im Stück die Rede der Staatsministerin in Perfektion. Zu unverbindlich, zu distanziert, zu wenig anerkennend klingen die Worte, schon der bloße Inhalt erscheint als Farce. Ausgeschmückt mit Anekdoten einer fiktiven Namibiareise, passenden Versprechern, der Beimischung von Fakten und diversen Stilmitteln, fragt man sich am Ende, welchen Sinn solche politische Reden haben sollen und ob das wirklich echt war.
Struktureller Rassismus und der Bezug zum Kolonialismus
In etwas weniger als einer Stunde lässt sich jedenfalls einiges dazu lernen. In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Aktiven wird das Thema weiter aufgearbeitet und erklärt. So war die echte Übergabe 2011 die erste von weiteren. Die fanden dann jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Bis heute erfolgte keine offizielle Entschuldigung durch die Bundesrepublik Deutschland. Strukturen und Effekte der Kolonialzeit, die bis heute nachwirken, werden diskutiert, der Bezug zum Gegenwartsrassismus hergestellt und verständlich gemacht. Das Publikum kann sich durch Fragen ebenfalls einbringen.
„Wir haben das Stück schon früher gespielt, aber nicht in diesem Kontext“, sagt die Darstellerin Schulz, „und auch wenn es kein einfaches Thema ist, ist es ein Stück Aufarbeitung, auch meiner eigenen weiß-deutschen Geschichte und privilegierten Sicht. Und es entwickelt sich ständig weiter.“
“Nothing about us without us – Remains. Eine Rede“ ist eine aktivistisch-mediale Reflektion der kolonialen Vergangenheit Deutschlands. Historischer Rassismus wird sichtbar und mit Gegenwartsbezug diskutiert. Weitere Aufführungen des Projekts sind geplant. Das Gesamtpaket ist als Tour konzipiert und kann international gebucht werden; die Kombination aus Theaterstück und anschließender Diskussion eignet sich besonders auch für Schulen und Universitäten (Anfragen werden gerne vom Theaterkollektiv anne&ich (Anton.K.Krause@gmail.com) oder dem Netzwerk Afrotak TV Cybernomads (AFROTAK@cyberNomads.de) entgegengenommen.