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VIOLETTE – Filmbesprechnung
Violette beleuchtet das Leben der französischen Schriftstellerin Violette Leduc (1907 – 1972) von den späten 40er Jahren bis hin zu ihrem endgültigen literarischen Durchbruch 1964. Nachdem Violettes (Emmanuelle Devos) Versuch, mit ihrem schwulen Freund und Mentor Maurice Sachs auf dem Land vor den Wirren des Zweiten Weltkriegs zu flüchten, scheitert, kehrt die junge Frau nach Paris zurück. Dort schlägt sie sich als Schwarzmarkthändlerin durch, bis ihr aus Zufall ein Buch Simone de Beauvoirs in die Hände fällt, das sie tief bewegt. Fasziniert von der Arbeit und der Gedankenwelt der Philosophin verfasst Violette selbst einen autobiographischen Roman, den sie Beauvoir überfallartig überreicht. Wider Erwarten ist die erfahrene Schriftstellerin von Violettes brutal ehrlichem Werk begeistert und animiert sie, sich weiter mit ihrer Vergangenheit und insbesondere ihrer eigenen Sexualität auseinanderzusetzen. Für Violette beginnt damit ein äußert schmerzhafter Prozess, der sie an die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit bringt. Neben der literarischen Aufarbeitung vergangener Dämonen hat Violette auch mit ihrer aktuellen aber ebenso unerwiderten Liebe zu Simone de Beauvoir zu kämpfen….
Mit Violette nimmt sich Regisseur Martin Provost einer bedeutenden Figur der feministisch-lesbischen Literatur an, die in Deutschland bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. Violette Leduc gehörte zu einer der ersten Schriftstellerinnen, die nicht nur ganz offen über weibliche sondern auch über lesbische Sexualität schrieb und damit ein zentrales Tabuthema ihrer Zeit in den Grundfesten erschütterte. Für ihre Arbeit erhielt sie zeitlebens die Anerkennung und Unterstützung zahlreicher bedeutender Autoren, wie Simone de Beauvoir, Albert Camus, Jean Genet und Nathalie Sarraute. Provost stellt in Violette den für Leduc äußert schmerzhaften Prozess des Schreibens in den Mittelpunkt der filmischen Handlung. Eindrücklich visualisiert er die selbstquälerische Art, in der sich die Schriftstellerin ihre bewegende Vergangenheit von der Seele schreibt, ihre starken Selbstzweifel über das eigene Talent und den Frust über die engen moralischen Grenzen der zeitgenössischen literarischen Landschaft. Leider fokussiert Provost dabei so stark auf diesen inneren Kampf seiner Heldin, dass er die Grundlage für Leducs Schaffen fast völlig ausklammert und dem Film einen Großteil seiner (emotionalen) Aussagekraft beraubt.
Die Erlebnisse und Gefühle, die Leduc den Stoff für ihre Werke liefern und in ihrer unverblümten Schilderung den zentralen Angelpunkt ihres Schaffens darstellen, bleiben in Violette nichts als nüchterne Worte in einem Film voller Dialoge. Provost thematisiert weder visuell noch emotional Leducs traumatisches Verhältnis zu ihrem Vater, ihre gefährliche Abtreibung im fünften Monat oder ihre erste Liebe zu ihrer Mitschülerin Isabelle. Stattdessen greift der Film diese prägenden Erlebnisse fast nebensächlich in einzelnen Randbemerkungen auf und verstreut sie kontextlos über die gesamten zwei Stunden des Machwerks. Auch der restriktive gesellschaftliche Rahmen innerhalb dessen sich die Schriftstellerin bewegt, bleibt diffus und wird nur am Rande angedeutet.
Die Radikalität von Leducs Romanen, ihre zahlreichen Grenzüberschreitungen und die zentrale Bedeutung ihres Werks für den feministisch-lesbischen Diskurs bleiben in diesem luft- und sinnleeren Raum damit kaum nachvollziehbar. Auch die Verständlichkeit der filmischen Handlung leidet beträchtlich unter dieser großen Leerstelle. Ohne fundiertes Hintergrundwissen über Leducs Leben, kostet es eine beträchtliche Anzahl grauer Haare, sich die Zusammenhänge aus den einzelnen Fragmenten zusammen zu reimen. Provosts sehr eigenwilliger Stil trägt ebenfalls nicht unbedingt zum Unterhaltungswert von Violette bei. Mit zahlreichen hoch symbolischen Bildern und kryptischen Dialogen verleiht er dem Film eine ebenso düstere wie rätselhafte Aura, die sich nur schwer fassen lässt. Violette Leduc erscheint in diesem Kontext als äußerst neurotische und hypersensible Frauenfigur, die das Objekt ihrer Begierde (in diesem Fall Simone de Beauvoir) mit genauso beängstigender Besessenheit verfolgt, wie ihren beruflichen Traum und nur wenig Identifikationsfläche bietet. Unterm Strich ist Violette damit ein langatmiger, oft zusammenhangsloser Film, der die Geduld seiner Zuschauer auf eine harte Probe stellt. Dennoch muss man Violette auch etwas zu Gute halten. Die wunderbaren Textpassagen aus Leducs Werk, die der Film immer wieder aufgreift, machen Lust, die Bücher der französischen Schriftstellerin auf eigene Faust zu entdecken und verhelfen Leduc somit vielleicht doch noch zu einer verspäteten Bekanntheit in Deutschland…..
Zu sehen im Mai 2014 in NRW bei der homochrom Filmreihe.
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Violette
Frankreich, Belgien 2013, R.: Martin Provost
Kinostart: 05.06.2014
Verleih: KOOL Filmdistribution