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Zum Doppelleben gezwungen: Lesben im Nationalsozialismus
Vortrag Vermeidungs- und Überlebensstrategien
Am 9.5.2014 war die Historikerin und Lesbenforscherin Dr. Claudia Schoppmann zu Gast in Bielefeld. Sie referierte im Frauenkulturzentrum im Rahmen der Hirschfeld-Tage 2014 zum Thema „Verfolgte Lesben im Nationalsozialismus“. In ihrem Vortrag mit dem Titel „Zum Doppelleben gezwungen: Vermeidungs- und Überlebensstrategien von Lesben im ‚Dritten Reich‘“ las sie unter anderem aus ihrem Buch Zeit der Maskierung. Lebensgeschichten lesbischer Frauen im ‚Dritten Reich‘. Hierfür konnte sie in den 1980er Jahren u. a. auch einige wenige Zeitzeuginnen interviewen. Ihr erstes Interview führte sie 1985 mit der Berliner Frauenrechtlerin und Politikerin Hilde Radusch. Diese war 1974 Mitbegründerin der ersten lesbischen Gruppe der Nachkriegszeit L74. Interviewpartnerinnen zu finden, gestaltete sich für Claudia Schoppmanns Forschungsarbeiten stets als schwierig. Sie sagt:
Bei manchen musste ich Überzeugungsarbeit leisten bis das Vertrauen da war. Meine Gesprächspartnerinnen habe ich nur über persönliche Empfehlungen erreicht.
Einschüchterung, Denunziation, Konzentrationslager
Da Frauen keine eigenständige Sexualität unabhängig vom Mann zugestanden wurde und Männern die politische und gesellschaftliche Führung oblag, galt lesbischer Sex zur Zeit des Nationalsozialismus als irrelevant und nicht sozial bedrohlich, so wie etwa der Sex unter Männern. Es gab jedoch seitens der Machthaber Angst um ein seit der Weimarer Republik anhaltendes Geburtendefizit. Lesbischer Sex und lesbische Beziehungen entsprachen zudem nicht dem „gesunden Volksempfinden“. Für lesbische Frauen waren daher Einschüchterung, Repression, Beobachtung und Denunziation, die bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung aus anderen Gründen wie Sex mit Minderjährigen oder Untergebenen führten, Alltag. Ihnen drohten im schlimmsten Fall Fürsorgeheime, psychiatrische Anstalten, Gefängnis und Konzentrationslager, zum Beispiel das einzige explizite Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Außerdem fürchteten Lesben stets, dass der §175, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte, auch auf Lesben ausgedehnt werden könnte.
Scheinehen als Überlebensstrategie
Eine gängige Vermeidungs- und Überlebensstrategie für Lesben im Nationalsozialismus war die Scheinehe. So konnte eine Lesbe heiraten, etwa einen schwulen Bekannten. War der Ehemann jedoch heterosexuell und über die sexuelle Orientierung seiner Frau nicht informiert, hatte er unter anderem das Recht auf alle „ehelichen Pflichten“, dazu gehörte auch der Beischlaf. Damit führten Lesben oft ein psychisch belastendes Doppelleben. Hinzu kamen ungewollte Schwangerschaften. Bei Trennungen wurden die Frauen oft „schuldhaft“ geschieden. Die bekannteste Scheinehe führten die Schauspieler_innen Gustaf Gründgens und Marianne Hoppe.
Isolation und Vereinsamung durch Rückzug ins Private
Um im Stadtbild nicht aufzufallen, passten Lesben Frisur und Kleidung dem neuen Frauenbild an, tauschten Bubikopf und Hosen gegen Langhaarfrisuren, Zöpfe, Kleider und Röcke. Veranstaltungen und Gruppierungen wurden als Sportveranstaltung, Sportgruppe oder Ähnliches getarnt. Bald folgte der gänzliche Rückzug ins Private. Auch, wenn es mehr Freiräume für Lesben gab, als Männer in den Krieg eingezogen wurden und Frauen so „unauffälliger“ zwecks vermeintlicher gegenseitiger Hilfe, Kindererziehung etc., zusammen sein und leben konnten, viele Frauen gingen aus Angst keine neuen Beziehungen zu Frauen ein. Das hatte oftmals Isolation und Vereinsamung als Folge. Ein öffentliches lesbisches Leben – die Forschungsergebnisse beziehen sich in allem auf die großen Städte, vornehmlich Berlin – gab es so gut wie nicht mehr. Großes Organisationen wie der Bund für Menschenrechte wurden aufgelöst, lesbische Lokale, von denen es zur Zeit der Weimarer Republik allein in Berlin rund 20 gab, geschlossen, lesbische Zeitschriften verboten. Lesbisches Leben fand fast ausschließlich in bestehenden Paarbeziehungen statt. Einigen Frauen blieben nur Umzüge, Lügen, Leugnen von Beziehungen, Suizidvortäuschungen, Flucht. Claudia Schoppmann abschließend:
Wie viele Frauen genau von der Verfolgung aufgrund ihres Lesbisch seins betroffen waren, ist unbekannt. Das Ausmaß der Betroffenheit darf nicht nur auf strafrechtliche Verfolgung gestützt werden.
Foto: Christine Stonat