querelle
Der Prinz im rosa Überraschungsei
Neulich hat die Liebste mir vom Einkaufen eines dieser neuen Ü-Eier mitgebracht. So ein rosafarbenes, das nur für Mädchen ist. „Wenn frau mitreden will, sollte sie den Quatsch wenigstens einmal im Original begutachtet haben“, lautete ihre Begründung für diese unnötige Geldausgabe.
„Alla gut“, pflegt man bei uns zu sagen, wenn Dinge zwar nicht ganz begriffen werden, aber eh nicht mehr zu ändern sind. „Alla gut“, sagte ich also und riss gleich mal die Alufolie auf. Die Schokolade sah aus wie gewohnt, schmeckte kein bisschen anders als bereits in den Siebziger Jahren und im gelben Plastik steckte ein Prinz. Was ich aber erst auf den fünften Blick erkennen konnte, denn seine Anatomie und die Frisur ähneln verblüffend der von Barbie, bloß der Busen fehlt.
Wie sich ein paar Tage später herausstellte, hatten mein Sohn und seine Freundin ebenfalls aus Neugier eines dieser Eier gekauft. Eins, keine zwei. Schließlich ist nur die Freundin ein anspruchsberechtigtes Mädchen, auch wenn er die wesentlich längeren Haare hat. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich zufällig, dass sich in seinem Besitz sowohl ein rosafarbenes T-Shirt als auch eine rosa Mütze befinden. Umgehend schlug mein schlechtes Muttergewissen Purzelbäume. Ob er Kindheitserfahrungen kompensieren muss, weil er früher keine Kleidung in der Farbe tragen durfte?
Um Missverständnissen vorzubeugen, das Geschlecht spielte bei diesem Tabu keine Rolle. Auch seine ältere Schwester musste auf rosa verzichten. Na ja, wenigstens soweit ich darauf Einfluss nehmen konnte, denn gegen Geschenke von wohlmeinenden Großtanten und Urgroßmüttern war damals noch kein Kraut gewachsen und ist es meines Wissen bis heute noch nicht. Meine Aversion hatte nichts mit gängigen Klischees zu tun, sondern einen rein praktischen Grund. Rosa Hosen, Kleidchen und Pullover sind ebenso wie hellgelbe oder weiße eine Zumutung für Mama, Papa, Onkel Heribert oder wie in unserem Fall die Oma, die das Zeug waschen müssen. Im Grunde genommen eignen sich nur Militärtarnfarben wirklich gut für Kinderkleidung.
„Was hältst du denn als Mutter, Feministin und Lesbe von dieser Rosa- Diskussion?“, bin ich gefragt worden. Wie so oft sind auch bei dieser Angelegenheit meine drei Ichs verschiedener Meinung. Ein Umstand, der manchmal mein Leben fürchterlich verkompliziert.
Lesbisch gesehen interessiert mich die Farbe Rosa überhaupt nicht. Sie gehört den Schwulen und ist somit »none of my business«. Selbst wenn ich wollte, würde ich mich deshalb nicht weiter darüber äußern. Aber ich will sowieso nicht, schließlich gerate ich schon ohne Farbgestaltungsdebatten viel zu oft in Konflikte mit Schwulen. Wobei… es gibt da eine Geschichte, die der Liebsten und mir seit zwei Jahren Kopfzerbrechen macht: Bei einer Betriebsweihnachtsfeier erschien mindestens die Hälfte der männlichen Belegschaft in rosa Hemden. Ob die Kollegen nun alle schwul sind?
Mütterlicherseits bedeutet rosa zunächst nichts als Arbeit und sollte deshalb aus den Kinderzimmern verschwinden. Denn nicht nur Jacken und Schuhe, sondern auch Schulranzen und Frühstücksboxen in dieser Farbe sind extrem schmutzempfindlich und eigentlich nur für die inzwischen selten gewordene Kombination Ganztagsmutter/Einzelkind geeignet.
Bleibt die Feministin in mir. „Nur für Mädchen“ soll dieses komische rosa Ü-Ei sein. Hätte Ferrero nun ein Ei mit der Aufschrift „Nur für Jungen“ auf den Markt gebracht… Ach was, einen solchen Fall brauche ich erst gar nicht zu Ende zu denken. Derart plump und direkt wäre das sowieso nie passiert. Welches Unternehmen will denn schon in den Akten sämtlicher Antidiskriminierungsstellen landen und vor den Europäischen Gerichtshof gezerrt werden? Allenfalls die Werbung für ein Produkt richtet sich ab und zu ausschließlich an den männlichen Teil der Bevölkerung. Denkbar wäre höchstens die Variante „Ü-Eier für Mädchen“ und „Ü-Eier für Jungen“, ohne das Wörtchen „nur“ und dem Schlupfloch, notfalls kann mal beim falschen Geschlecht zugegriffen werden.
Ich stelle mir vor, mit meinen noch kleinen Kindern heutzutage an der Supermarktkasse zu stehen und sie betteln: „Kriegen wir ein Überraschungsei?“
A) „Welches willst du?“, frage ich die Tochter. „Ein Normales oder ein Rosafarbenes?“ Zum Sohn sage ich: »“u musst dir eins bei den Normalen aussuchen! Denn auf den anderen steht ausdrücklich darauf: nur für Mädchen. Und du bist doch ein Junge.“ Boing, die Sexismuskeule hat zugeschlagen. Beim Jungen, nicht beim Mädchen.
B) Fortschrittlich wie ich bin, ignoriere ich möglicherweise das „Nur für Mädchen“ und lasse ihm ohne weitere Erklärung dieselbe Wahl wie ihr. Drei Minuten lang habe ich zwei glückliche und zufriedene Kinder, bis er von der Kassiererin mit einer unbedachten Bemerkung über den Fehlgriff aufgeklärt wird und zu brüllen anfängt. Schließlich ist er doch kein Mädchen. Warum gibt es Ü-Eier für Mädchen, aber keine für Jungen?
C) Was anschließend noch von dem freundlichen Mann hinter uns getoppt könnte, der ihm erklärt: „Sei froh, dass du kein rosa Ü-Ei nehmen musst. Mädchenspielzeug ist doch stinklangweilig.“ Jetzt heulen sowohl der Sohn wie auch die Tochter.
Vielleicht irre ich mich, aber meines Wissens hat sich bisher noch keine Firma erlaubt, was Ferrero zurzeit mit seinen Ü-Eiern treibt. Natürlich ist in unserem Gehirn eingebrannt, dass rosa Strampelanzüge für Mädchen gedacht sind und Jungs blau angezogen werden sollen. Das haben uns ja gerade erst die deutschen Verantwortlichen von Olympia 2012 eindrucksvoll vor Augen geführt. Noch nie vorher wurde bei Olympischen Spielen eine Mannschaft allein durch die Farbe ihrer Kleidung derart der Lächerlichkeit preisgegeben. Dennoch kann ich mich nicht erinnern, jemals Babykleidung oder zum Beispiel Kinderbettwäsche gesehen zu haben, auf deren Verpackung ausdrücklich hingewiesen worden wäre: „Nur für Mädchen!“
Mir kommt das neue Ü-Ei vor wie ein letztes verzweifeltes Aufbäumen des Patriarchats. Hoffentlich entwickeln die kleinen Mädchen jetzt endlich jene Minderwertigkeitsgefühle, die ihnen mit dieser Farbe eingeimpft werden sollen!?! Denn all der rosa Firlefanz, mit dem sie in den letzten Jahrzehnten bombardiert worden sind, hat sie weder von der Politik noch der Technik ferngehalten. Mit Prinzessin Lillifee im Rucksack, der Barbie unter dem Arm und einem rosa Brillengestell auf der Nase marschieren sie durch Kindergarten und Schule bis in die Uni, während ihre großen Schwestern und feministischen Mütter, ihre Erzieherinnen und Lehrerinnen jeden Spielzeughersteller ungespitzt in den Boden rammen, der es wagt, in der Werbung visuell oder verbal den Anschein zu erwecken, etwas sei ausschließlich für Jungen geeignet.
Klar, natürlich ärgere ich mich beinah täglich über irgendeinen neuen rosa Albtraum, weil die Absicht dahinter, Mädchen aus dem normalen = männlichen Leben auszugrenzen, nur allzu offensichtlich ist. Aber die Erfahrung im Laufe der Jahre hat mich gelehrt, dass diese den Sexismus ganz prima für sich zu nutzen wissen. Sie genießen es geradezu, oft die Wahl zwischen Produkten für alle und denen für Mädchen zu haben. Und daran wird sich solange nichts ändern, wie Jungen teils direkt, teils unterschwellig der Zugang zur rosa Welt verwehrt bleibt.
Wir können weiter rosa analysieren, diskutieren, uns darüber aufregen und wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema schreiben. Das nimmt viel Zeit und Energie in Anspruch und wird sich letztendlich als Kampf gegen Windmühlen erweisen. Früher oder später ziehen Barbie und Lillifee in jedes Mädchenzimmer ein, egal wie feministisch die jeweiligen Erziehungsberechtigten auch sein mögen. Andauerndes Gequengel der lieben Kleinen schrottet selbst die stärksten Nerven. Viel entspannter und schneller kämen wir wahrscheinlich voran, wenn rosa sich in eine geschlechtsneutrale Farbe verwandeln würde. Also bitte nicht den Mädchen die rosa Ü-Eier verweigern, sondern sie stattdessen den Jungen schmackhaft machen. Was außerdem noch den Nebeneffekt hätte, starre binäre Geschlechtervorstellungen und Heteronormativität in unserer Gesellschaft ein kleines bisschen mehr aufzuweichen.
Interessant ist, das die „geschlechtliche“ Zuordnung der Farben Blau und Rot/rosa noch vor 100 Jahre anders herum war. Blau, als Farbe des Gewandes der heiligen Maria, galt als Mädchenfarbe. Rot oder hellrot trugen (männliche) Adlige. Vielleicht dreht sich diese Zuordnung wieder oder bleibt hoffentlich dabei auf dem halben Weg stehen.
Quelle: Internet
Der gegenwärtige Hype der Farbe Rosa als Mädchenfarbe hängt aus meiner Sicht vor allem mit dem mehr oder weniger geschickten Push zusammen, den die Werbeindustrie dieser Festlegung gegeben hat. In meiner Kindheit spielten Rosa und Blau jedenfalls keine Rolle. Deshalb ist zu hoffen, dass sich das auch wieder gibt, wenn Rosa genügend ausgelutscht wurde 🙂
Da die Farbe Rot traditionell eine Farbe der Könige und rosa die Farbe der Prinzen war, sehe ich aus diesem Hintergrund den Hype um die Farbzuordnung anders. Rosa als Farbe der Prinzen – Jesus seine Gewänder sind außen rot und innen rosa – ist doch eine erhebende Farbe.
Wenn Mädchen heute die Farbe Rosa tragen, dann sollte Frau das positiv und als Zeichen der Emanzipation und Stärke zählen.
Es sollte nicht immer alles herabgewertet werden. Rosa ist eine starke Farbe und die Mädchen von heute haben ein Recht, als stark und würdig gesehen zu werden.
Nur weil Mädchen die Farbe Rosa gerne tragen, ist die Farbe nicht gleich weniger Wert. Es sollte der Mehrwert gesehen werden, das mehr. Generell. Egal, um welche Farben oder Menschen es sich handelt.
Wir bewerten doch, wie Farben gesehen werden. Und wenn eine Firma für Mädchen extra ein Produkt für Mädchen herstellt, dann, weil sie als verkaufsstarke Gruppe gesehen werden. Sind dann nicht Mädchen auch eine starke Gruppe? Wenn Mädchen dann auch noch später genau so viel wie Jungen verdienen, dann liegt das sicher an dem Mehrwert, den wir im Geschlecht jeweils sehen.
Das, was Frau Henning geschrieben hat, ist ein ganz wichtiger Aspekt: Wie haben wir Farben vor hundert Jahren bewertet, wie haben wir das Blau bewertet an Maria? Alles hatte seine Bedeutung so wie heute auch – und, die Farbe Rot, Purpur, war eine sehr teure Farbe, die sich nur die Könige leisten konnten, sollten.
Als ich entdeckt habe, das die Farbe Rosa die Farbe der Prinhzen war, habe ich wieder voller Stolz angefangen, rosa zu tragen. Sind wir nicht alle große und kleine Prinzen? Mein Vater hat früher immer rosa und lila Hemden getragen. Damit bin ich groß geworden. Der war nicht schwul. Ich bin deswegen auch nicht lesbisch geworden. Irgendwann ist eine Farbe eh übersättigt, wetten? Dann kommt eine neue Farbe auf den Markt.
Aber die pinken Ü-Eier sind mir auch aufgefallen und mir gefallen die „alten“ Eier besser. Wir können ja mal lesbische Ü-Eier produzieren in Regenbogenfarben.