querelle
Zum Verhältnis von Lesben und Schwulen
Die Frage nach dem Verhältnis von Lesben und Schwulen kann man unter zwei Gesichtspunkten diskutieren: dem theoretischen und dem tatsächlichen.
Der theoretische Gesichtspunkt ist schnell erledigt: „Die“ Lesben und „die“ Schwulen gibt es nicht. Die Humanwissenschaftler sind sich einig, dass die Unterschiede bei den Frauen einerseits und den Männern anderseits sehr viel größer sind als die Unterschiede zwischen der Gesamtheit der Frauen und der Gesamtheit der Männer. Das ist nach meiner Erfahrung bei den Lesben und Schwulen genauso.
In tatsächlicher Hinsicht meine ich, war das Verhältnis zwischen Lesben und Schwulen innerhalb des Zeitraums, den ich überblicken kann – ich bin Jahrgang 1934 –, noch nie so entspannt und gut wie heute. Möglicherweise war es in den vierziger und fünfziger Jahren ähnlich gut, weil man sich gegenseitig schützen musste. Es kann damals immer wieder vor, dass sich schwule Männer und lesbische Frauen als Ehepaar getarnt und geheiratet haben.
Solange Homosexualität strafbar und gesellschaftlich geächtet war, hatten viele „Schwule“ eine „Sandgräfin“. Das war eine ständige Begleiterin, die dazu diente, „den Leuten Sand in die Augen zu streuen“.
Es kommt auch heute noch oft vor, dass schwule Männer eine „sehr gute Freundin“ haben, mit der sie sehr vertraut sind und mit der sie sich über alles austauschen können einschließlich ihres Liebeslebens. Die Frauen andererseits schätzen an solchen „Freundschaften“, dass dort sehr viele Nähe und Vertrautheit möglich ist, ohne dass sie „Anmache“ befürchten müssen.
Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen den Lesben und Schwulen nicht gut. Die Lesben engagierten sich vor allem in feministischen Zusammenhängen und betrachteten die Schwulen nur als Teil das Patriachats, dass die Frauen unterdrückt. So äußerten sich die Vertreterinnen des Lesbenrings noch Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts bei den damaligen Diskussionen über die „Homo-Ehe“.
Bei den Schwulen gab es in der „neuen Schwulenbewegung“ ab den siebziger Jahren eine Reihe von Männern, die jeden Kontakt und Zusammenarbeit mit „den Frauen“ ablehnten. Sie wollten sich so beweisen, dass sie echte „schwule“ Männer sind, die nur auf Männer stehen.
Dieser Gegensatz flammte zum letzten Mal bei dem von der Zeitung EMMA angefachten Streit über das Denkmal in Berlin auf. EMMA und ihre Mitstreiterinnen wehrten sich heftig gegen das Verschweigen des Schicksals der Lesben in der NS-Zeit. Einige Schwule lehnten die von den Frauen angeblich betriebene Geschichtsfälschung ebenso heftig ab. Der Streit konnte glücklicherweise mit einem Kompromiss beigelegt werden.
Lesben und Schule kämpfen heute gemeinsam gegen alle Benachteiligungen und für gleiche Bürgerrechte. Dabei sind die ideologischen Begründungen ganz in den Hintergrund getreten. Das Ziel ist einfach und klar: Die Lesben und Schwule wollen vom Staat und der Gesellschaft als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger anerkannt werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich die Lesben und Schwulen im „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland“ (LSVD) zusammengefunden. Der LSVD hat sich 1999 für die Frauen „geöffnet“. Heute sind 60 % der Mitglieder Männer, 38 % Frauen und 2 % Vereine und Gruppen. Der Anteil der Frauen nimmt ständig zu.
Die Frauen arbeiten auf allen Ebenen des Verbandes engagiert und gleichberechtigt mit. Bei den Diskussionen und Abstimmungen im Bundesvorstand des LSVD und in den Vorständen der Landesverbände und Untergruppierungen spielt es keine Rolle, ob ein Vorschlag von einer Frau oder einem Mann kommt. Ausschlaggebend sind allein die Sachargumente. Die Zusammenarbeit zwischen den Frauen und Männern im Bundesvorstand des LSVD, dem ich angehöre, ist so gut, dass ich mich immer auf das „gemütliche Zusammensein“ nach den Bundesvorstandssitzungen freue.
Zum Abschluss noch eine persönliche Bemerkung: Ich habe dreißig Jahre mit meiner Frau zusammengelebt und lebe jetzt seit zwanzig Jahren mit meinem Mann zusammen. Diese letzten zwanzig Jahre waren die schönsten meines Lebens, weil alles „stimmt“. Aber die dreißig Jahre mit meiner Frau und meiner Familie waren auch sehr schön und wir sind uns noch immer sehr zugetan.
Von der Struktur her unterscheiden sich meine beiden Partnerschaften nicht, außer dass mein Mann und ich älter und toleranter sind und dass wir als Pensionäre unser Leben und unser Zusammensein selbstbestimmt gestalten können. Das macht Vieles einfacher.
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